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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte
Autoren: Mary Jo Putney
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obwohl sie doch alle alte Freunde waren. Sie hatten begonnen, als sie sechs Jahre alt war und sie zum ersten Mal die schreckliche, zerstörerische Wildheit miterleben mußte, die es zwischen Mann und Frau geben konnte.
    Mit der Zeit waren die Alpträume durch neue Szenen ergänzt worden. Die schlimmste handelte von der Katastrophe, die ihre Kindheit vernichtet hatte, obwohl die Bilder sich nicht auf ihre Jahre als Larissa Alexandrowna Karelian beschränkten. Nein, eigentlich hatte das demütigendste Ereignis stattgefunden, als sie bereits Laura Stephenson geworden war.
    Seit einiger Zeit kamen die Alpträume seltener und gewöhnlich dann, wenn Veränderungen bevorstanden. Doch unglücklicherweise hatten die Bilder nichts von ihrer Intensität verloren. Angst, Abscheu und Scham. Leidenschaft, Katastrophe, Tod.
    Erschöpft strich sich Laura das helle Haar aus der feuchten Stirn. Meistens war sie eine vernunftbegabte, fast schon zu ruhige und beherrschte junge Frau von vierundzwanzig Jahren. In ihren Träumen aber war sie stets ein verschrecktes, vor Angst halb wahnsinniges Kind, und kein Heranreifen und Erwachsenwerden hatten das zu ändern vermocht. Wahrscheinlich sollte sie dankbar sein, daß die entsetzlichen nächtlichen Bilder höchstens zwei- bis dreimal im Jahr kamen.
    Zudem kam es ihr absurd vor, von Alpträumen heimgesucht zu werden, obwohl die nahende Veränderung ihr willkommen war. Morgen würden sie und ihr Stiefvater zu einer Rundreise durch den Distrikt aufbrechen, einem der angenehmsten Teile ihrer jährlichen Routine. Nichtsdestoweniger hatte die Aussicht darauf ihre schlafenden Dämonen zu einer ihrer regelmäßigen Attacken geweckt.
    Die Luft hatte sich auf eine angenehme Temperatur abgekühlt, und auf der Veranda klingelten die Glöckchen leise in einer lauen Brise. Laura hob das Moskitonetz und schwang ihre Beine aus dem Bett. Barfüßig tappte sie zum Fenster hinüber, ohne auf mögliche Skorpione zu achten, und entdeckte das erste Licht des frühen Tages am östlichen Horizont. Um so besser — so mußte sie wenigstens nicht mehr ins Bett zurück.
    Wie so viele Briten in Indien hatten sie und ihr Stiefvater die Angewohnheit, frühmorgens auszureiten, bevor die Hitze des Tages sich über das Land legte. Bald würde auch er aufstehen, und sie würden zusammen Tee und Toast zu sich nehmen. Nach dem Ausritt würde er sich seinen Pflichten als Inkassobeamter des Distrikts widmen, während sie sich um die tausend Einzelheiten kümmern würde, die nötig waren, um das Haus zu schließen und die morgige Abreise vorzubereiten. Es würde ein geschäftiger, vorhersehbarer Tag werden.
    Laura blieb noch eine Weile am Fenster stehen, lauschte den zarten Klängen der Glöckchen und nahm die Geräusche und den schweren Duft der Nacht in sich auf. Die warme Brise liebkoste ihr Gesicht, und die wollüstige, samtige Finsternis schien sie zu rufen. Indiens innerstes Wesen war Leidenschaft, und manchmal — fast zu oft — sehnte sie sich danach, sich ihr zu unterwerfen. Ohne sich dessen bewußt zu sein, ließ sie eine Hand über ihren Körper gleiten, strich sich über Brüste und Hüften, als sie das warme Pulsieren unter dem dünnen Musselinhemd wahrnahm.
    Dann bemerkte sie, was sie tat, spürte die Röte in ihre Wange steigen und wandte sich ab von der sinnlichen Gefahr der Nacht.
    Laura suchte gerade Proviant im Küchenhaus zusammen, als der Bursche ihres Vaters hereinkam, um zu melden, daß der Schlichtungsbeamte einen Besuch abstatten wollte. Sie zog ihre Nase kraus, denn Gäste konnte sie im Augenblick gar nicht gebrauchen. »Danke, Padam. Sag Mr. Walford, daß ich sofort komme.«
    Sie nahm den überdachten Weg vom Küchenhaus zum Bungalow und ging zuerst in ihr Zimmer, um ihr Aussehen zu überprüfen. Wie nach Stunden herumwirtschaften zu erwarten war, sah sie aus, als hätte man sie durch ein Dickicht geschleift: Aus dem Knoten an ihrem Hinterkopf hatten sich zahlreiche Strähnchen gelöst, die nun wild um ihren Kopf standen. Das kümmerte sie nicht besonders, ihr verschwitztes, am Körper klebendes Kleid jedoch sehr wohl, denn das letzte, was sie wollte, war, Emery Walford zu provozieren. Sie rief ihr Mädchen und zog ein formloses, weißes Musselinkleid an. Dann ging sie, um ihren Gast zu begrüßen.
    Die Veranda, über die sich blühende Ranken spannten, war der schönste Teil des flachen Gebäudes. Als Laura erschien, erhob sich der Beamte, ein großer, schüchterner junger Mann, augenblicklich. »Guten
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