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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte
Autoren: Mary Jo Putney
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wollten gerade gehen?«
    Emery wurde rot und ließ Lauras Hand los. »Ja. Ich... ich bin nur vorbeigekommen, um Ihnen und Laura eine gute Reise zu wünschen.« Sein sehnsuchtsvoller Blick berührte Laura einen kurzen Augenblick, dann wandte er sich ab. »Ich freue mich auf Ihre Rückkehr.«
    Als der junge Mann sich auf sein Pferd geschwungen und weggeritten war, bestellte Laura noch ein Tablett mit Erfrischungen. »Du bist im allerletzten Moment gekommen, Vater. Ich glaube, Emery wollte gerade zu einem Antrag ansetzen.«
    Mit ernster Stimme antwortete Kenneth Stephenson: »Du könntest schlechter wählen. Er ist vielleicht ein wenig grün, aber für manche Mädchen bestimmt ein ganz ausgezeichneter Ehemann. Er stammt aus guter Familie, ist umgänglich und macht seine Arbeit sehr gut. Er wird es weit bringen.«
    »Ich gönne es ihm«, sagte Laura leichthin. »Ich bleibe lieber bei dir - du bist eine weit bessere Gesellschaft.«
    Ihr Stiefvater lächelte ein wenig traurig. »Du solltest wirklich eine eigene Familie gründen, Laura.«
    Diese Diskussion war nicht neu. »Du bist meine Familie«, erwiderte sie. »Du brauchst mich. Jemand muß nach dir sehen und aufpassen, daß du vernünftig ißt!«
    Er spielte mit einem knusprigen Jelabi. »Ich werde nicht immer bei dir sein. Liebes.«
    Betroffen von seinem Tonfall, musterte Laura sein Gesicht. Es war leicht, die subtilen Anzeichen des Alters bei jemanden zu übersehen, mit dem man täglich zusammen war. Nun stellte sie plötzlich schockiert fest, wie dünn er geworden war, wie viele Falten seine sonnengebräunte Haut durchzogen und wie grau sein Haar schon war. Er war älter als die meisten Distrikt-Offiziere, und das Leben in Indien war auch für junge, kräftige Menschen mühselig. »Du arbeitest zuviel. Vielleicht solltest du langsam in den Ruhestand treten, damit wir nach England zurückkehren können.«
    »Was denkst du eigentlich wirklich über Indien?« fragte er. »Ich wäre zufrieden, den Rest meines Lebens hier zu verbringen, aber für eine junge Frau ist das Leben nicht leicht. Manchmal überlege ich, ob du nicht einfach vorgibst, glücklich zu sein, nur damit ich kein schlechtes Gewissen haben muß, dich hierhergeschleppt zu haben.«
    »Du hast mich nicht >geschleppt< — ich habe darauf bestanden, mitzukommen, weißt du noch?« Laura blickte abwesend auf die saftig-grüne Landschaft, während sie überlegte, was sie sagen sollte. »Es tut mir nicht leid, hier zu leben. Das Land und die Leute sind faszinierend, und ich verstehe, warum du sie so liebst. Doch selbst nach fünf Jahren empfinde ich das Land noch als fremd. Ich werde es niemals begreifen.«
    »Man braucht nicht zu begreifen, um zu lieben«, sagte er voller Zuneigung. »Du hast einen starken russischen Anteil in dir, den ich nie verstehen werde, aber deswegen liebe ich dich kein bißchen weniger.«
    »Ich bin keine Russin — ich bin eine zivilisierte Engländerin.« Um es zu beweisen, schenkte sie sich
    Tee nach und fügte eine große Menge Milch hinzu. »Ich bin nur zufällig in Rußland geboren.«
    »Und hast da gelebt, bis du neun warst. Das können die Jahre in England auch nicht ändern.« Kenneth lächelte. »Wenn du mich mit deinen funkelnden, goldenen Augen so ansiehst, bist du ganz und gar das Abbild deiner Mutter, und keiner war russischer als Tatjana.«
    »Aber ich bin ihr nur äußerlich ähnlich«, sagte Laura mit Unbehagen. »Sonst nicht!«
    Er schüttelte den Kopf, verfolgte das Thema aber nicht weiter, sondern suchte ihren Blick und hielt ihn fest. »Wenn mir etwas zustößt, dann versprich mir, Liebes, daß du nicht zu lange trauerst und ernsthaft über die Ehe nachdenken wirst.«
    Alarmiert stellte Laura ihre Tasse ab und starrte ihren Stiefvater an. »Das ist aber ein merkwürdiges Gespräch. Gibt es etwas, das du mir verschweigst? Geht es dir nicht gut?«
    »Nein, nein, nichts dergleichen.« Er zuckte die Schultern. »Es ist nur die Sache mit dem Brahmanen, der einmal mein Horoskop erstellt hat. Er sagte, ich würde kurz nach meinem sechzigsten Geburtstag sterben.«
    Und sein Geburtstag war eine Woche zuvor gewesen. Laura hatte das Gefühl, als streifte ein eisiger Windhauch ihren Nacken. »Das ist doch Unsinn, Vater! Wie kann ein abergläubischer Heide wissen, wann du stirbst?« rief sie.
    »Vielleicht hat sich der Priester ja geirrt. Aber er könnte schließlich auch recht gehabt haben. Ich habe in Indien schon viele Dinge gesehen, die nach westlichen Maßstäben
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