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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte
Autoren: Mary Jo Putney
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unerklärlich sind.« Kenneth sprach mit ruhiger Stimme. »Wahrscheinlich habe ich mir ein bißchen vom östlichen Fatalismus angeeignet, denn der Gedanke an den Tod schreckt mich nicht besonders. Ich habe eine Bestandsaufnahme meines Lebens gemacht und bin recht zufrieden mit dem, was ich erreicht habe.« Er seufzte. »Aber ich mache mir Sorgen, was mit dir geschehen wird. Ich hätte mich mehr um meine Geldangelegenheiten kümmern sollen, denn ich habe nicht viel, was ich dir hinterlassen kann.«
    »Du hast mir alles gegeben, was man sich wünschen kann«, gab sie in behutsamem Tonfall zurück. »Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Ich kann sehr gut für mich selbst sorgen.«
    »Das weiß ich, aber das Leben besteht aus mehr als nur aus Überleben«, sagte er weich. »Es bedeutet auch Kameradschaft, Freundschaft, Liebe. Ich habe Angst, daß du dich dafür entscheidest, den Rest deines Lebens allein zu verbringen, und dadurch viele schöne Dinge verpaßt.«
    Laura biß sich auf die Lippe. Unglücklich erkannte sie, daß ihr Vater ihre generelle Abneigung gegen die Ehe erkannt hatte. Sie würde das Thema nicht näher besprechen, nicht einmal mit ihrem Stiefvater, da ohnehin nichts ihre Meinung ändern konnte. Aber wenn eine Unwahrheit seinen Seelenfrieden erhalten würde, dann wollte sie gerne ein bißchen lügen. »Das Leben ist ungewiß, besonders hier in Indien — du könntest glatte zwanzig Jahre länger leben als ich.« Sie schauderte übertrieben zusammen. »Aber ich verspreche dir, wenn dir etwas passiert, halte ich nach einem Ehemann Ausschau. Eine Frau braucht einen Mann, wenn auch nur, um das richtig fette Ungeziefer zu erschlagen. Du weißt, wie sehr ich Tausendfüßler hasse.«
    Kenneth lachte in sich hinein, und seine Miene wurde weicher. »Wenn du heiraten solltest, dann findest du bestimmt noch eine andere Verwendung für deinen Mann. Wenn du mich nicht mehr bemuttern mußt, wirst du feststellen, wie nett die Gesellschaft junger Männer sein kann.«
    Vielleicht würde sie das ja tatsächlich, aber Heiraten käme trotzdem nicht in Frage. Niemals.

Kapitel 2
    Cambay Station Nordindien
    In seinem Bestreben, endlich zu seinem Regiment zurückzukehren, verbrachte Ian Cameron nur zwei Tage in Bombay. Nachdem er seine Bank und einen Schneider aufgesucht hatte, kaufte er das beste Pferd, das er finden konnte, Gewehr und Revolver, und begab sich auf den langen Weg nach Cambay. Er machte sich nicht erst die Mühe, eine Nachricht vorauszuschicken - er würde genauso schnell ankommen wie der Brief.
    Er ritt in nordöstliche Richtung durch die weiten, grünen Ebenen, die sich vom Arabischen Meer bis zum Golf von Bengalen erstreckten, doch er fand wenig Freude an den vertrauten Bildern von fröhlichen Menschen, farbenprächtigen Tempeln und geduldigen Wasserbüffeln. In den endlosen Monaten im Schwarzen Brunnen von Buchara war er sicher gewesen: wenn er jemals freikam, wenn er wieder im Sonnenlicht stehen konnte, dann würde sein Leben wieder normal werden.
    Statt dessen schien die Finsternis des Kerkers in seine Seele gedrungen zu sein. Tag und Nacht — besonders des Nachts - plagte ihn die Angst, daß das Dunkel ihn ganz einhüllen könnte. Nur Georgina konnte die Schatten vertreiben, und der Wunsch, sie zu sehen, brachte ihn dazu, sein Pferd bis zum äußersten zu strapazieren. Er dachte kaum daran, zu rasten oder zu essen. Zudem zog er es vor, den Schlaf zu meiden, denn er fürchtete die entsetzlichen Träume. Gewöhnlich handelten sie vom Schwarzen Brunnen, und er wachte jedesmal mit dem Gefühl quälender Einsamkeit auf und meinte, ersticken zu müssen.
    Manchmal jedoch hatte er einen geheimnisvollen, unerklärlichen Traum von einem Feuer — ein wütendes Inferno, das über das Land tobte. Daraus erwachte er stets vor Furcht zitternd und in dem Wissen, daß er etwas tun mußte, um den Brand aufzuhalten. Aber was, daran konnte er sich nie erinnern.
    Im großen und ganzen war es also besser, gar nicht erst zu schlafen.
    Die Straße zum Quartier des 46. Eingeboreneninfanterieregiments führte über eine Brücke. Oben angelangt, hielt er an und starrte auf die Ebene vor sich. Nichts schien sich in den zwei Jahren, die er fortgewesen war, verändert zu haben. In der Ferne wurden Truppen auf dem Maidan, dem Paradeplatz, gedrillt, und die forschen Schritte und Kehrtwendungen wirbelten Staubwolken auf, die der Wind davonwehte. Etwas näher befanden sich die Baracken, die Vorratslager und Bungalows in
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