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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte
Autoren: Mary Jo Putney
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militärischer Präzision an einem verzweigten, ausgedehnten Straßennetz.
    Endlich erlaubte er sich, zu Colonel Whitmans ge-räumigem Bungalow hinüberzublicken. Es war später Nachmittag, also müßte Georgina zu Hause sein und sich zum Dinner ankleiden. Wenn nicht - nun, sie würde nicht weit fort sein. Innerhalb der nächsten zwei Stunden würde er sie in die Arme schließen können, und dann hätten seine Alpträume endlich ein Ende.
    Ungeduldig trieb er sein Pferd hinunter in die geschäftigen Straßen, wo Soldaten und Zivilisten ihren üblichen Aufgaben nachgingen. Ungläubige Blicke folgten ihm, als er vorbeiritt, und ein- oder zweimal glaubte er, seinen Namen flüstern zu hören, aber er hielt nicht an. Später würde er noch genug Zeit zum Reden haben.
    Als er sein Ziel erreicht hatte, stieg er ab und hastete, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zum Bungalow hinauf. Wahrscheinlich wäre es klüger gewesen, sich zuerst eine Bleibe zu suchen, damit er sich waschen und umziehen und eine Nachricht an Georgina schicken konnte, die sie über seine Rückkehr informierte. Aber wie seine Mutter immer sagte, war noch niemand an guten Nachrichten gestorben, und er wollte nicht eine Minute länger auf das Wiedersehen mit seiner Verlobten warten.
    Auf Ians Klopfen öffnete der Bursche des Colonels, der gleichzeitig die Funktion des Butlers innehatte. Unbeeindruckt von der verstaubten Erscheinung des Besuchers fragte er höflich: »Kann ich Ihnen helfen, Sahib?«
    »Erkennst du mich nicht, Ahmed?« fragte Ian und nahm seinen Topi, den breitrandigen Tropenhelm ab, den alle Europäer trugen, um sich vor der gleißenden indischen Sonne zu schützen.
    Die Kinnlade des Mannes fiel herab. »Major Cameron?«
    »Höchstpersönlich. Ein wenig älter, wahrscheinlich nicht weiser, aber grundsätzlich gesund. Ist Miss Georgina da?«
    »Sie ist im Gartenzimmer, Sahib, aber...«
    Ian schnitt dem Burschen das Wort ab. »Melde mich nicht an - ich will sie überraschen!« Und schon eilte er durch den Hauptraum des Bungalows, und sein Herz hämmerte in dem Wissen, daß die Rettung nur noch ein paar Schritte entfernt war.
    Das Gartenzimmer war ein hübscher, schattiger Teil der Veranda, der zu Mrs. Whitmans spektakulären Blumenbeeten hinausführte. Und dort — wie die Schale mit Gold am Ende eines Regenbogens — saß Georgina. Sie hatte Ians Schritte nicht gehört, und so blieb er in der Tür stehen, um ihren Anblick zu genießen, wie sie auf dem Korbsofa mit ihrer Stickerei beschäftigt war.
    Die Monate der Gefangenschaft hatten ihr Bild in seiner Erinnerung verschwimmen lassen, doch nun fragte er sich, wie er je ihre zarten Gesichtszüge, die goldschimmernden Kringellöckchen und ihren wunderbar edlen Hals hatte vergessen können. In ihrem fließenden rosafarbenen Kleid wirkte sie so süß, so frisch und so ausgesprochen weiblich... all die Eigenschaften, nach denen er sich im Kerker so gesehnt hatte!
    Sein Heilmittel war in greifbarer Nähe. Leise rief er: »Georgina!«
    Sie schaute auf, dann stockte ihr der Atem, und sie ließ ihre Stickerei fallen. Ihre Miene zeigte mehr als Überraschung; es war Entsetzen!
    Ihre Reaktion machte Ian schmerzlich bewußt, welchen Anblick er bieten mußte: Klapperdürr, verstaubt, in einer zu weiten Uniform, eine schwarze Klappe über einem Auge. Was für ein Narr war er gewesen, gleich hierher zu kommen; möglich, daß sie ihn gar nicht erkannte. Bemüht, heiter zu wirken, sagte er: »Ich gebe zu, daß ich etwas nach Bandit aussehe, bis zur Unkenntlichkeit habe ich mich aber doch nicht verändert.«
    »Ian!« Sie versuchte sich zu erheben, sank dann jedoch ohnmächtig aufs Sofa zurück.
    Ian verfluchte sich heftig, während er zum Sofa ging und ihre zusammengesunkene Gestalt so plazierte, daß ihre Füße etwas höher als der Kopf gelagert waren. Sie duftete nach Parfüm und war weich und rund, wie eine Frau es sein sollte.
    Dann flatterten ihre blaßgoldenen Wimpern auf, und sie starrte den Mann an, der neben ihr kniete. »Ian.« Sie legte ihm unsicher eine Hand auf die Wange. »Gütiger Himmel, du bist es wirklich.«
    Er wollte etwas antworten, dann hielt er inne. Es war, als ob man ihm eine Faust in den Magen gerammt hatte. Die Hand, die Georgina erhoben hatte, war ihre linke, und am Ringfinger trug sie einen goldenen Reifen.
    Er packte ihre Hand und starrte den Ring an. Es war ein Ehering, daran gab es keinen Zweifel, und sie trug ihn zusammen mit einem Diamantring, der nicht
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