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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte
Autoren: Mary Jo Putney
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derselbe war, den er ihr zur Verlobung gegeben hatte.
    Sein Blick verschleierte sich. Er ließ ihre Hand fallen und stand auf, ohne es recht glauben zu wollen. Dann entdeckte er den Grund für Georginas Rundlichkeit: Sie mußte im vierten oder fünften Monat schwanger sein. Mit heiserer Stimme, die er kaum als seine identifizieren konnte, sagte er: »Ich hatte gehofft, daß meine Abwesenheit die Gefühle vertiefen würde, aber offenbar bedeutet für dich: Aus den Augen, aus dem Sinn. Ist der Glückliche jemand, den ich kenne?«
    »Gerry Phelps«, antwortete sie schwach und preßte sich eine Hand an die Kehle.
    Natürlich. Der ehrenhafte Gerry Phelps, Ians Freund und Rivale, seit sie zusammen als Kadetten auf der Militärakademie von Addiscombe gewesen waren — und zudem hartnäckigster Verehrer Georginas neben ihm selbst. Ians Gesicht verzog sich. »Ich hätte es mir denken können. Gerry wollte dich schon immer haben. Warum hast du ihn nicht sofort genommen, statt erst so zu tun, als würdest du mich lieben?«
    Ihre helle Stimme brach. »Ich habe nicht so getan, als ob, Ian, aber alle haben mir gesagt, du seist tot! Ich habe eine Woche geweint, als die Nachricht eintraf.«
    »Und dann die Tränen getrocknet und Gerry geheiratet«, beendete Ian bitter den Satz. Er warf einen Blick auf ihre Mitte. »Du hast ja nicht viel Zeit mit Trauer verschwendet!«
    Georgina begann zu weinen. Tränen taten ihrer Schönheit keinen Abbruch, denn sie hatte immer schon die Gabe gehabt, sehr hübsch zu schluchzen.
    Während Ian auf seine ehemalige Verlobte starrte, spürte er, wie etwas in seinem Inneren zerriß und die Maske der Normalität mitnahm, die er seit seiner Rettung aus dem Kerker so mühselig aufrechterhalten hatte. Aus Furcht, er könnte vielleicht handgreiflich werden, machte er auf dem Absatz kehrt und ging steif hinaus. Sie flüsterte schluchzend seinen Namen, aber er blickte sich nicht um. Nachdem er sich von Ahmed seinen Helm hatte reichen lassen, riß er die Tür mit solcher Kraft auf, daß die Wände des Bungalows bebten, und sah sich Gerald Phelps gegenüber.
    Gerry erstarrte mitten in der Bewegung, in seiner Miene eine Mischung aus Freude und Schuldbewußtsein. »Mein Gott, Ian. Du lebst ja wirklich! Jemand hat mir erzählt, daß du gerade gesichtet worden bist, aber ich konnte es nicht glauben. Es ist verdammt lange her.« Er hob die Hand, um sie ihm entgegenzustrecken, ließ sie dann jedoch wieder fallen. »Wir dachten alle, du wärest tot.«
    »Das habe ich bereits festgestellt.« Ian überlegte, ob er seine Faust gegen Gerrys gutgeformtes Kinn rammen sollte; es hätte ihn in seinem hilflosen Zorn vielleicht ein wenig erleichtert. Aber wenn er seinem Drang nach Gewalt in seiner jetzigen Verfassung nachgeben würde, wäre er zu einem Mord fähig, und Gerry war im Kampf nie ein wirklicher Gegner gewesen. »Meine Glückwünsche zu deiner Hochzeit«, sagte er mit einem bösartigen Unterton. »Ich weiß nicht, ob der Beste gesiegt hat, aber Hauptsache ist doch der Sieg, nicht wahr?«
    Ohne auf eine Antwort zu warten, schob er den anderen zur Seite und schwang sich auf sein Pferd. Dann stob er in der schnellsten Gangart davon, die er dem erschöpften Tier zumuten konnte.
    Gerry Phelps sah ihm nach, ging schließlich hinein und fand seine Frau an den Türrahmen zum Gartenzimmer gelehnt. Ihr Gesicht war leichenblaß, ihre Hände waren krampfhaft ineinander verschränkt. Gerry wollte zu ihr gehen und sie trösten, und noch mehr wollte er sie sagen hören, wie froh sie war, ihn geheiratet zu haben, doch ihre verwirrte Miene ließ ihn innehalten.
    Mann und Frau starrten sich an und spürten die Distanz zwischen sich, die nichts mit Metern zu tun hatte. Zwischen ihnen stand der Geist eines Mannes, der nicht tot war.
    Ian war bereits eine Viertelmeile über die Straße galoppiert, als er begriff, daß er keine Ahnung hatte, wo er hinsollte. Nachdem er sein Pferd zum Stehen gebracht hatte, brach er über dessen Hals zusammen, weil er sich nicht länger aufrecht halten konnte. Die körperliche Erschöpfung, die er so lange einfach ignoriert hatte, überfiel ihn nun mit aller Macht, und sein Atem kam stoßweise und keuchend. Doch noch viel schlimmer als seine physische Qual war der Schmerz in seiner Seele und ein bitteres Stück Wahrheit, das er weder annehmen noch leugnen konnte.
    Seit er gerettet worden war, hatte er sich an dem Gedanken festgeklammert, daß Georgina seine Erlösung bedeutete, doch statt dessen hatte er nur
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