Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer
Autoren: Antje Babendererde
Vom Netzwerk:
Meer an, das mir auf seine Weise antwortete: Mit unerschütterlicher Stetigkeit schlug die Brandung gegen das Ufer. Meine Verzweiflung würde die Welt nicht anhalten und den Gezeiten keinen Einhalt gebieten.
    Als ich ins Camp zurückkehrte, waren die anderen bereits schlafen gegangen.
    Am Vormittag erschienen wir auf dem Polizeirevier. Chief Howe führte uns in einen Raum mit einem langen Holztisch und mehreren Stühlen. An den weißen Wänden hingen farbig bemalte Schnitzereien von Wolf, Lachs und Donnervogel. Ich nahm an, dass es eine Art Konferenzraum war, denn es gab eine Leinwand und in der Ecke stand ein Flipchart.
    »Setzt euch«, sagte der Chief.
    Wir setzten uns an das eine Ende des Tisches und Howe nahm ebenfalls Platz. Es herrschte betretenes Schweigen. Ich blickte den Polizisten an und seine Ähnlichkeit mit Conrad machte mir das Atmen schwer.
    Ich hatte keine Ahnung, was jetzt kommen würde. Hatte Conrad sich bei seinem Vater gemeldet? Hatte er ihm erzählt, dass er am Strand gewesen war? Würden wir jetzt die ganze Wahrheit erfahren?
    »Eigentlich habe ich euch herbestellt, um euch einzeln zu befragen«, sagte Chief Howe schließlich. »Aber das ist nach dem neusten Stand der Ermittlungen nicht mehr nötig.«
    »Haben Sie Joshs Mörder?«, fragte Alec.
    Howe sah ihn an. »Der Tod eures Freundes war ein Unfall. Wieso glaubst du, dass es einen Mörder gibt?«
    »Weil Ihr Sohn Josh gehasst hat«, sagte Alec mit bitterer Stimme. »Er war der Meinung, Josh wäre schuld am Tod seines Bruders. Außerdem war Josh in Smilla verliebt und die ist mit Conrad abgezogen.«
    Ich zuckte zusammen und mir schoss das Blut ins Gesicht. Chief Howe verzog keine Miene. Er sah auch nicht zu mir herüber. Seine dunklen Augen waren fest auf Alec gerichtet.
    »Du glaubst also, dass mein Sohn Conrad deinen Freund umgebracht hat?«
    Mir blieb fast das Herz stehen. Ich erkannte den sonst so besonnenen Alec nicht wieder. Er sah aus wie ein Zombie: graue Gesichtshaut, rot umränderte, geschwollene Augen, verfilztes Haar. Und eine Menge Wut im Bauch.
    »Ja, verdammt«, sagte er. »Genau das glaube ich. Aber er wird davonkommen, nicht wahr? Weil sein Vater Polizist ist.«
    Verblüfft registrierte ich, wie ruhig Chief Howe blieb. »Das sind schwere Anschuldigungen«, sagte er.
    »Na und? Mein bester Freund ist tot und ich glaube einfach nicht, dass es ein verdammter Unfall war. So betrunken war Josh nicht.«
    Howe lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Zwei Promille, das ist nicht wenig. Ich habe gerade mit dem Krankenhaus in Port Angeles telefoniert. Josh ist von den Klippen gestürzt.«
    Ungläubig blickte Alec den Polizisten an. »Und was wollte er da oben mitten in der Nacht?«
    »Deiner Freundin helfen.«
    »Was?«
    »Sie war auf die Klippen geklettert und er wollte sie dort herunterholen. Dabei ist er abgestürzt.«
    Vor ungeheurer Erleichterung stiegen mir Tränen in die Augen.
    »Das glaube ich nicht«, sagte Alec. »Und woher wollen Sie das überhaupt wissen? Von Brandee?«
    »Es gibt Zeugen.«
    »Zeugen?«
    »Ja.«
    Chief Howe erzählte uns von einem jungen Mann aus dem Ort, dem gegen Mitternacht aufgefallen war, dass sein Wolfshund sich losgerissen hatte.
    Milo, dachte ich. Was hatte das zu bedeuten?
    »Mr Penn hat sich auf die Suche gemacht«, fuhr Chief Howe fort. »Am Strand beobachtete er, wie jemand vor seinem Hund auf die Klippen flüchtete. Er pfiff das Tier zurück, aber dann sah er, wie noch jemand die Felsen hinaufkletterte, offensichtlich, um das Mädchen dort wieder herunterzuholen. Sie schien vor ihrem Retter Angst zu haben und hat sich gegen ihn gewehrt. Euer Freund verlor den Halt und stürzte über den Rand der Klippen.
    »Wieso hat dieser Mr Penn keine Hilfe geholt?«, fragte Alec entsetzt.
    »Mr Penn ist vorbestraft. Sein Hund ist schon einmal abgehauen und hat einen Urlauber angefallen. Er wollte mit der ganzen Sache nichts zu tun haben.«
    »So ein Arschloch.« Alec begann zu schluchzen. »Vielleicht wäre Josh nicht ertrunken, wenn dieser Penn uns geweckt hätte.«
    »Mr Penn wird sich wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten müssen«, sagte Howe, »aber selbst, wenn er euch ge weckt hätte, ihr hättet nichts mehr für euren Freund tun können. Joshua Kline ist nicht ertrunken. Sein Genick war gebrochen. Er muss bei seinem Sturz ins Wasser auf einen Felsen geprallt sein.«
    Laura schluchzte auf und auch ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Mark knackte nervös mit den Fingerknöcheln,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher