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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer
Autoren: Antje Babendererde
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blendete mich.
    »Sonne«, juchzte Laura voller Freude und schüttelte ihre Korkenzieherlocken. Sie fing an zu singen: »Sunshine on my shoulders makes me happy, sunshine in my eyes can make me cry. Sunshine on the water looks so lovely, sunshine almost always makes me high.«
    »Echt krass«, hörte ich Janice sagen, die gerade vor mir über einen Stamm kletterte, der halb im Sand vergraben lag.
    Ich stieg ihr nach und dann sah auch ich ihn, den Pazifik. Die überwältigende Präsenz des Ozeans traf mich bis ins Mark. Er war von einem schweren Graugrün und milchig schäumend dort, wo die Wellen sich brachen, die mit wilder Unrast an den sandigen Strand trieben. Weiter draußen wechselte der Ozean die Farbe. Indigoblau leuchtete er und das Wasser funkelte von Sonnenlicht, als wäre seine Oberfläche mit Pailletten bestickt.
    Vom ersten Moment an spürte ich, dass der Ozean voller Geheimnisse war, die sich in seinen dunklen Tiefen verbargen. Der Pazifik sprach zu mir. Wer bist du?, schien er zu fragen.
    »Smilla«, flüsterte ich und hatte auf einmal den salzigen Geschmack von Tränen im Mund.
    Während die anderen weitergingen, ließ ich die Henkel meiner Tasche von den Schultern gleiten und sah mich um. Der First Beach war eine lang gezogene, sichelförmige Bucht, die zu ihrer Linken von schroffen Felsen begrenzt war, auf denen dunkle Nadelbäume wuchsen. In der Nähe der Klippen ragten einzelne Felsnadeln wie schwarze, steile Zähne aus dem Meer. Auf der rechten Seite zog sich der sandige Strand lang hin. Ich sah ein Pärchen, das an der Wasserlinie spazieren ging und nach Muscheln oder anderen Meeresschätzen Ausschau hielt. Ein paar identisch aussehende Strandhäuser mit großen Glasfenstern standen dicht am Ufer, gleich hinter dem Schwemm-holz, vermutlich Touristenunterkünfte. Am anderen Ende der Bucht sah ich auf einem Hügel größere Häuser mit blauen Dächern stehen und ich nahm an, dass das der eigentliche Ort La Push war. Eine dem Festland vorgelagerte Felseninsel ragte dort aus dem Meer, auf der sturmzerzauste Bäume standen.
    »James Island«, sagte Josh, der neben mir auf den Stamm gestiegen und meinem Blick gefolgt war. »Dort haben die Indianer früher ihre Toten begraben.«
    Ein Schauder rann über meinen Rücken. Ich schrieb ihn dem Wind zu, der vom Meer herüberwehte und unter mein T-Shirt fuhr. »Es ist wunderschön hier«, sagte ich, schier überwältigt von diesem magischen Ort. Eine tiefe Freude durchströmte mich, dass ich hier sein durfte – für drei lange Wochen. Meine Bedenken waren wie weggeblasen.
    »Na komm!«, sagte Josh. »Du wirst noch genügend Zeit haben, die Gegend zu bestaunen. Hier ist nämlich sonst nicht viel los.« Wir folgten den anderen und nach etwa hundert Metern erreichten wir ein kleines Flussdelta. Ich zog meine Turnschuhe aus, um barfuß durch das flache Wasser zu waten. Es war kalt
    und klar und ich liebte das Gefühl des festen kühlen Sandes an meinen Fußsohlen.
    Ein ganzes Stück weiter vorn schienen die anderen inzwischen einen Platz gefunden zu haben, an dem wir unsere Zelte aufschlagen konnten. Alec stand inmitten der Gruppe und gestikulierte nach rechts und nach links, vermutlich bestimmte er, wo die Zelte aufgebaut werden sollten.
    »Das ist der beste Platz«, sagte Josh und wischte sich über die Stirn. »Letztes Jahr haben dort ein paar Surfer aus Port Angeles gecampt. Sieht so aus, als hätten wir dieses Jahr mehr Glück.«
    Ich blickte mich um und konnte außer uns niemanden entdecken. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man sich hier um die besten Plätze drängeln musste – der Strand war jetzt völlig menschenleer. Aber als wir bei den anderen angelangt waren, sah ich, dass Josh recht hatte: Die Stelle, an der wir unser Camp aufschlagen würden, war perfekt. Sie lag etwas höher als der Strand, sodass die Flut uns nicht erreichen konnte, und es war genug Platz für unsere fünf Zelte, die wir allerdings auf rund geschliffenen Steinen aufbauen mussten, denn Sand gab es hier oben nicht mehr.
    Jemand hatte aus Schwemmholzstämmen einen Unterschlupf gebaut, eine Art Wind-und Regenschutz. Dazu hatte er den umgestürzten Stamm einer Erle benutzt, deren größter Ast ungefähr einen Meter fünfzig über dem Boden lag. Der Erbauer des Unterschlupfes hatte diesen Ast als Querbalken genutzt und dem Ganzen eine Rückwand und ein Dach gegeben. Der Baum war noch nicht tot, der große Ast hatte an manchen Stellen ausgetrieben und die hellgrünen Blätter
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