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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer
Autoren: Antje Babendererde
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schmalen Augen. Bei der anderen fiel mir zuerst die verkorkste Dauerwelle auf und dann ihr hässliches Sweatshirt. Es war pinkfarben und hatte große silberne Blumen aufgedruckt.
    Als ich drei Meter entfernt an ihnen vorbeiging, bemerkte ich, dass sie einen Hund bei sich hatten, der jetzt unter der Bank hervorkam. Er hatte hellgraues Fell mit einem fast schwarzen Streifen auf dem Rücken und sah aus wie ein Wolf. Mit einem Knurren zog er die Lefzen zurück und zeigte seine gelben Zähne.
    Meine Nackenhaare richteten sich auf. Der Hund war nicht an der Leine. Ich hatte Schiss, aber seine Augen zogen mich in den Bann. Denn die waren zweifarbig, genau wie meine. Nur andere Farben: eines blaugrau wie Rauch, das andere bernsteinfarben. Der junge Indianer im schwarzen Kapuzenshirt – sein Haar war auf der linken Seite kurz geschoren und auf der anderen lang – sagte: »Still, Boone! Hab Geduld. Am Tag darfst du sie nicht fressen, nur bei Nacht.« Die beiden Mädchen kicherten.
    Ich blickte dem Jungen mit der Punkfrisur ins Gesicht, sah seinen stechenden schwarzen Reptilienblick und die dunklen Aknenarben, die seine Wangen entstellten. Dann waren wir auch schon an den dreien vorbei.
    Ich hörte noch, wie der Junge »Boone mag ihren weißen Geruch nicht« zu den Mädchen sagte und sie wieder loskicherten.
    Das war meine erste Begegnung mit amerikanischen Ureinwohnern und ich wollte nicht voreingenommen sein. Sie waren es ganz offensichtlich. Nicht, dass ich keinen Spaß verstand, aber ich war noch gar nicht richtig da und fühlte mich schon auf seltsame Weise unwillkommen.
    Der Supermarkt war größer, als ich von draußen vermutet hatte, aber das Angebot an Lebensmitteln erwies sich als herbe Enttäuschung: eingeschweißte Sandwichs (ich nahm ein Truthahnsandwich mit Käse, weil ich Hunger hatte), ein paar Käsesorten (sehr orange), Joghurt und Hotdogs in den Kühlregalen. Welkes Gemüse, ein paar fleckige Bananen und bunte Süßigkeiten. Jede Menge Chips natürlich, in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen. Es gab sogar Bier und Wein, was mich verwunderte, denn ich hatte gehört, dass Alkohol in Indianerreservaten verboten war.
    In der hinteren Ecke des Supermarktes stand ein ATM-Bankautomat. Es gab Ständer mit Postkarten und Prospekten, ein paar Bücher über die Gegend, Regenjacken und Gummistiefel. Ich drehte am Postkartenständer und betrachtete die Karten mit Indianermasken und den alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Männern, Frauen und Kindern in Baströcken und mit seltsam geformten Regenhüten auf dem Kopf.
    Das Spannende daran war: Die Nachfahren dieser Leute auf den Postkarten waren hier im Supermarkt und sie hatten dieselben faszinierenden Gesichter.
    Ich fotografierte mit den Augen: die ältere Frau mit den beiden Kindern, die jedes ein buntes Wassereis in den Händen hielten und sich gegenseitig ihre blaue und scharlachrote Zunge herausstreckten. Ein Mann mit dünnem grauem Zopf und schmuddeliger Kleidung, der unentschlossen vor dem Regal mit dem Alkohol stand. Zwei Männer in Arbeitskleidung und Gummistiefeln, die sich jeder ein Sixpack Budweiser griffen. Und da war auch noch ein junger Mann in Jeans und T-Shirt, der in einem der Regale etwas zu suchen schien. Ein dicker Zopf hing ihm lang wie ein Tau den Rücken herunter.
    Dreh dich mal um, dachte ich. Ich will dein Gesicht sehen.
    Aber den Gefallen tat er mir natürlich nicht.
    Ich hörte, wie Alec und Josh mit dem Typen hinter der Theke, der ein »Lonesome Creek Store«-Basecap trug, zu diskutieren begannen. Der Indianer schüttelte verdrießlich den Kopf. »Wenn euch das nicht passt«, sagte er zu den beiden, »könnt ihr ja wieder gehen.«
    Der Junge mit dem Zopf riss den Kopf hoch und blickte vor zur Theke. Ich sah, wie sich seine Hände langsam zu Fäusten ballten.
    Na wunderbar, dachte ich, das fängt ja gut an. Man schien hier geradezu auf uns gewartet zu haben. Plötzlich hatte ich ein hohles Gefühl in der Magengrube. Ich legte das Sandwich, das ich mir ausgesucht hatte, wieder ins Kühlregal zurück und ging vor zur Theke.
    Alec schob seine Kreditkarte über den Tisch. Der Indianer mit dem Basecap kassierte und gab noch ein paar mürrische Anweisungen.
    »Wir warten draußen«, sagte Alec zu Mark, Laura und Brandee, die jetzt mit Zahlen an der Reihe waren.
    Zu dritt verließen wir den Supermarkt und ich brachte es nicht fertig, mich noch einmal nach dem Jungen umzudrehen. Auf einmal fürchtete ich mich davor, sein Gesicht zu sehen.
    »Was war
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