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INAGI - Kristalladern

INAGI - Kristalladern

Titel: INAGI - Kristalladern
Autoren: Patricia Strunk
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vollen Körbe zu den Wagen, ihr faules Pack?« brüllte der Reshir. Drohend zog er die Peitschenschnur durch seine Finger. »Du, Halbblut!« Er zeigte auf Ishira. »Leer den Korb hinter dir aus, aber ein bisschen schnell!«
    Sie biss die Zähne zusammen und hob den Korb auf ihre Schultern. Es war dumm gewesen, sich provozieren zu lassen. Sie hätte sich doch denken können, wie die Sache ausgehen würde!
    Der Aufseher beobachtete sie aus schmalen Augen, als wartete er nur darauf, dass sie ihm einen weiteren Grund lieferte, sie zu bestrafen. Ishira legte einen Schritt zu, bevor er sie noch einmal seine Peitsche schmecken ließ. Sie brachte den Korb zum gegenüberliegenden Ende des Minengeländes, wo mehrere mit Stroh ausgelegte Wagen standen, und schüttete die Kristalle vorsichtig auf die Ladefläche des linken Fuhrwerks. Von hier aus wurden die Kristalle zu anderen Orten transportiert, um die Häuser der Gohari zu beleuchten. Ihr milder Schein war begehrt, denn er war ungleich heller und angenehmer als eine flackernde, rußende Kerze.
    Abwesend verteilte Ishira die Kristalle im Stroh, damit sie beim Transport nicht gegeneinanderschlugen und beschädigt wurden. An Tagen wie diesen sehnte sie sich nach der kurzen Zeit zurück, in der sie für ihren Freund Kanhiro und dessen Vater als Trägerin gearbeitet hatte. Zwar hatte sie in der Mine ständig das beklemmende Gefühl gehabt, der gesamte Berg würde auf ihrer Brust lasten, aber wenigstens hatte sie sich nicht so ausgegrenzt gefühlt. Doch im vergangenen Jahr hatte ihr Bruder das Alter erreicht, als Träger zu arbeiten, und ihre Aufgabe übernommen.
    Sie seufzte lautlos. Vermutlich waren die anderen Frauen über ihre Rückkehr an den Sortiertisch genauso wenig erbaut gewesen wie sie selbst. Weil in ihren Adern unleugbar einige Tropfen goharischen Blutes flossen, wurde sie allseits als Mischling verachtet. Die Gohari betitelten sie als Halbblut, die Inagiri als Geishiki , was mehr oder weniger dasselbe bedeutete, und den einen wie den anderen war ihre Existenz ein Dorn im Auge.
    Irgendwo in der Nähe sang ein Tenishi . Ishira blickte auf und erspähte seine leuchtend orangefarbenen Schwanzfedern auf dem oberen Ast einer Zeder hinter den Palisaden, die den Minenvorplatz begrenzten. Noch während sie zu dem Vogel hinübersah, breitete er seine Schwingen aus und glitt gemächlich über die Baumwipfel davon. Einen Augenblick lang wünschte Ishira sich, sie würde diese Freiheit ebenfalls besitzen.
    Als sie an ihren Platz zurückkehrte, tauchten am Tor des Minengeländes zwei Gohari in langen bestickten Gewändern auf. Zuerst hielt Ishira sie für Heiler, doch dann sah sie, dass sie keine kahl rasierten Schädel hatten und ihre Obergewänder nicht grün waren, sondern blau wie ein wolkenloser Himmel.
    »Was wollen denn Telani hier?« fragte Midori vom gegenüber liegenden Ende des Tisches mit gedämpfter Stimme.
    Ozami zuckte mit den Schultern. »Vielleicht inspizieren sie wieder die Minen.«
    Gelehrte waren seltene Besucher in Soshime. Soweit Ishiras Erinnerung zurückreichte, hatten sie sich das letzte Mal nach dem großen Grubenunglück in der Ostmine, bei dem acht Bergleute und ein Reshir verschüttet worden waren, hierher verirrt. Damals hatten viele Dorfbewohner geglaubt, die Gohari würden die Mine schließen, doch stattdessen hatten die Eroberer die eingestürzten Stollen nach Anweisung der Telani durch eine Holzkonstruktion stabilisiert und danach war die Arbeit wie gewohnt weitergegangen.
    Die beiden Besucher wechselten einige Worte mit einem der anderen Reshiri. In diesem Moment hallte der ersehnte Gongschlag über den Platz, der das Ende des Arbeitstages verkündete. Aus zahlreichen Kehlen stieg erlöstes Seufzen auf. Langsam begaben sich die Sortiererinnen zu den Lagerhäusern, um auf ihre Angehörigen zu warten. Ishira folgte ihnen in einigem Abstand.
    Kurz darauf quoll der erste Schwung Hauer und Träger aus dem Eingang des Bergwerks. Als Hauer arbeiteten ausschließlich Männer, doch Träger gab es beiderlei Geschlechts, je nach Zusammensetzung der einzelnen Familien. Hier und da war ein trockenes Husten zu hören, ausgelöst durch den feinen Kristallstaub, der in der Mine allgegenwärtig war. Er hing in der Luft, haftete an der Haut, setzte sich in der Kleidung ab und drang durch Mund und Nase in den Körper ein. Nicht wenige Inagiri machte er krank. Zuerst war es nur ein gelegentliches Husten, später kamen Fieber und Schmerzen in der Brust hinzu. Wen der
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