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INAGI - Kristalladern

INAGI - Kristalladern

Titel: INAGI - Kristalladern
Autoren: Patricia Strunk
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diese Tradition fortzuführen, weil sie es sich anders nicht mehr vorstellen konnte. Für sie gehörten Kanhiro und sein Vater genauso zur Familie wie Kenjin.
    »Kommst du morgen mit zu den Rennen?« fragte ihr Freund sie, als sie die leicht gewölbte Brücke erreichten, die den Fluss überspannte.
    Ishira zögerte mit der Antwort. Die Keiko -Rennen fanden an den Tagen der Mondwenden nachmittags auf dem großen Platz in der Mitte des Dorfes statt. Sie stellten so ziemlich die einzige Abwechslung im eintönigen Leben der Bergleute dar und waren vor allem bei den Männern äußerst beliebt. Keiko waren kleine rotbraune Nagetiere mit seidig glattem Fell und Stummelschwanz, die in den umliegenden Wäldern lebten. Die Inagiri bauten Fallen, um sie aus ihren Erdhöhlen zu locken und einzufangen. In eigens gebauten Holzbahnen ließen sie die flinken Nager laufen und schlossen Wetten ab, wessen Tier es als Erstes durchs Ziel schaffen würde. Ishira hatte den Rennen nie viel abgewinnen können, weil ihr die Keiko leid taten. Es erschien ihr wie ein Hohn, dass die Inagiri, die sich für die Gohari in den Kristallbergwerken die Finger blutig schuften mussten, ihrerseits die armen Keiko einsperrten, damit sie ihnen zur Unterhaltung dienten. Davon abgesehen mied sie die Gesellschaft der Dorfbewohner, so gut sie konnte. Selbst in Begleitung Kanhiros und ihres Bruders fühlte sie sich unwohl, wenn die anderen sie abfällig musterten oder hinter ihrem Rücken über sie tuschelten. Doch sie wollte ihren Freund nicht vor den Kopf stoßen.
    In Kanhiros dunkelbraunen Augen begannen winzige Lichtfünkchen zu tanzen. Er lächelte verschmitzt. »Bitte sag ja! Dann helfe ich dir nachher auch mit dem Essen.«
    »Besser nicht«, mischte sich Kenjin von hinten ein. »Wer weiß, ob es dann noch genießbar ist.«
    Togawa hustete unterdrückt, um sein Lachen zu verbergen.
    Sein Sohn deutete eine ironische Verbeugung an. »Herzlichen Dank für dein Vertrauen in meine Fähigkeiten, Ken.«
    »Oh, ich gebe viel auf deine Fähigkeiten«, erwiderte Kenjin reuelos. »Nur nicht beim Kochen. Aber du könntest mir morgen Vormittag helfen, unser Dach zu reparieren. Einige Bündel Stroh sind hinüber. Bei dem Unwetter vor ein paar Tagen hat es in Niras Schlafkammer geregnet.«
    »Kenjin!« schimpfte Ishira. »Kannst du nicht mal etwas alleine machen? – Lass dich nicht von ihm einspannen, Hiro«, fuhr sie, an ihren Freund gewandt, fort. »Mein Bruder wird es wohl schaffen, ein bisschen Stroh auszubessern.«
    Kanhiro winkte lachend ab. »Schon gut, ich helfe gerne, Shira. Und zu zweit geht es viel schneller.« Er zwinkerte Kenjin, der triumphierend grinste, verschwörerisch zu. »Außerdem verdienen wir uns damit beide einen besonders großen Anteil am Mondwendeessen.«
    Ishira schüttelte den Kopf. Sie gab sich alle Mühe, ihre missbilligende Miene aufrechtzuerhalten, doch angesichts von Kanhiros gespielt unschuldigem Blick zogen sich ihre treulosen Mundwinkel nach oben. »Du bist mir ein schönes Vorbild, Hiro!«
    Vor ihnen tauchte das goharische Fort auf. Auf den beiden Wachtürmen, die jeweils von einem Drachengeschütz gekrönt wurden, das an eine überdimensionale Armbrust erinnerte, waren bereits die großen Bronzelaternen entzündet worden. Das Dorf selbst lag nur wenige Dutzend Schritte südöstlich des Lagers. Die verwitterten Holzhäuser, die sich hinter den Palisaden in mehreren Reihen den Hang hinaufzogen, schienen sich unter den hohen, zedernbestandenen Bergen zu ducken, die das Tal auf drei Seiten umschlossen – die Ausläufer der Oyatsumi, der Ringberge, die eine Art natürlicher Grenze bildeten zwischen dem von Menschen bewohnten Gebiet und dem Teil Inagis, in dem die Amanori hausten.
    Die meisten Dächer schimmerten grün von Moos und viele der Asagistrohbüschel waren vom Wind zerzaust und geknickt. Die Männer mussten mehrmals im Jahr hinaufsteigen, um an dieser oder jener Stelle etwas zu erneuern. Die beiden Kireshi am Dorfeingang zollten der kleinen Gruppe nur kurzzeitige Aufmerksamkeit und vertieften sich dann wieder in ihre Unterhaltung. Solange keiner der Sklaven Ärger machte, interessierte es sie nicht besonders, was die Inagiri trieben.
    Das Haus, das Ishira und ihr Bruder bewohnten, lag am Rande des Versammlungsplatzes. Kanhiro stemmte sich mit der Schulter gegen die Haustür. Trotz seiner wiederholten Versuche, sie zu richten, hing sie immer noch schief in den Angeln und gab ein vernehmliches Knarren von sich, als würde sie
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