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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut
Autoren: Michael Swanwick
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es unerträglich stickig.
    Er gähnte, und einen Moment lang öffnete er die Augen und blickte über das erlöschende Lagerfeuer hinweg Gregorian an. Obwohl der Kopf des Magiers immer wieder herabsank, erzählte er weiter. Dann befand sich der Bürokrat wieder in Laputa, und ein Teil der Geschichte des Magiers war ihm entgangen.
    »Vasli. Ich nehme an, Sie kennen Korda gut. Ein Mord ist ihm durchaus zuzutrauen, meinen Sie nicht? Wenn sich ihm jemand in den Weg stellt, würde er ihn töten.«
    Die weiße Maske betrachtete ihn forschend. »Bisweilen kann er grausam sein. Wer wüßte das besser als Sie?«
    »Sagen Sie mir eines. Glauben Sie, er würde sechs Menschen töten? Oder hundert? Würde er so viele Menschen töten, wie er könnte, würde er sie foltern, bloß um des Vergnügens willen, zu wissen, daß er es getan hat?«
    »Um diese Frage zu beantworten, müssen Sie tief in sich hineinblicken«, sagte Vasli. »Ich jedenfalls glaube es nicht.«
    Die Fiebertänzer hatten begonnen, seinen Schädel in verkohlte Schlacke zu verwandeln. Doch noch während sie wie eine Million kichernder Stahlfliegen hervorquollen und den jungen Magier in die Bewußtlosigkeit zurückstießen, dachte er: Nein. Natürlich nicht. Jemand, der so etwas täte, hätte keinerlei Ähnlichkeit mit Korda mehr. Er wäre ein Monstrum, eine Abnormität. Er wäre durch seine Taten bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Er wäre ein völlig anderer Mensch.

    Er erwachte.
    Es war spät geworden. Gewaltige Steinmassen dräuten über ihm. Lichtlose Alleen atmeten leise hinter seinem Rücken. Das Land in der Tiefe war in der diffusen Helligkeit, die dem Sonnenaufgang vorausging, kaum zu erkennen. Obsidianwolken türmten sich am Horizont. Blitze tanzten über sie hinweg. Dennoch vernahm er keinen Donner. Konnte das sein? Sollte die Welt lautlos untergehen? Das Feuer war nahezu erloschen, die Glut von Asche bedeckt.
    Gregorians Kinn war auf die Brust herabgesunken, und aus einem Mundwinkel rann ein dünner Speichelfaden. Er war immer noch bewußtlos. In ganz Ararat war nur der Bürokrat wach. Sein Mund war wie aus Gummi, der Bauch tat ihm weh.
    Hinter ihm auf der Straße war etwas.
    Der Bürokrat straffte sich. In Ararat war es still. Eine plötzliche Bö mochte ein Korallenstück gelöst haben, das über die Steinflächen in die Tiefe polterte. Dieses Geräusch war jedoch anders. Es wirkte zielstrebig. Er verrenkte sich den Hals und blickte in die Mündung der Gasse. Die Schwärze wogte vor seinen Augen. Hatte sich da nicht etwas bewegt? Vielleicht war es doch nicht bloß ein Reflex seiner überreizten Nerven.
    Er vernahm ein metallisches Klappern. Ein gedämpftes Schleifen, unbeholfen und unsicher. Hinter ihm war etwas. Es kam in seine Richtung.
    Der Bürokrat wartete.
    Langsam kam ein spinnenhaftes Wesen aus der Straße hervor. Es taumelte hin und her und tastete sich mit einer der Vordergliedmaßen wie mit einem Blindenstock voran. Ab und zu verlor es das Gleichgewicht und stürzte. Es war seine Aktentasche.
    Hierher, dachte der Bürokrat. Aus Angst, Gregorian aufzuwecken, wagte er nicht zu sprechen. Vielleicht, dachte er aufgeregt, fürchtete er aber auch bloß, es könne sich bloß wieder als Halluzination entpuppen. Er hielt den Atem an. Das Ding tappte auf ihn zu.

    »Chef? Sind Sie das?« Er berührte die Aktentasche, damit sie seine Gene überprüfen konnte, worauf das Gerät zu seinen Füßen zusammenbrach. »Diesmal war's verteufelt schwer, Sie zu finden. Ich finde mich hier einfach nicht mehr zurecht.«
    »Leise!« flüsterte der Bürokrat. »Bist du noch einsatzbereit?«
    »Ja. Ich bin bloß blind.«
    »Hör mir genau zu. Ich möchte, daß du einen Nerveninduktor anfertigst. Übernimm die Kontrolle über Gregorians Nervensystem und lähme seine höheren motorischen Funktionen. Laß ihn dann ins Gebäude gehen. Irgendwo hat er einen Schweißbrenner. Bring ihn her und schneide mich los.«
    Gregorian hob den Kopf. Er öffnete langsam die Augen und lächelte. Mit träumerischer Langsamkeit griff er an seinen Gürtel und schloß liebevoll die Finger um den Griff seines Messers.
    »Das ist verbotene Technik«, sagte die Aktentasche. »Auf einer Planetenoberfläche darf ich so etwas nicht herstellen.«
    Gregorian lachte in sich hinein.
    »Tu's trotzdem.«
    »Ich kann nicht!«
    »Das ist ein hervorragendes Beispiel für das, wovon ich geredet habe.« Gregorian löste das Messer, lehnte sich zurück. Offenbar bezog er sich auf etwas, das dem Bürokraten
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