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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh
Autoren: C. E. Lawrence
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verängstigt aussehender Junge statt eines wilden, unerschrockenen Vampirjägers entgegenblickte. Er holte tief Luft und zwang sich, ganz langsam wieder auszuatmen. Er musste weitermachen, trotz seiner Angst.
    Es klopfte an die Schlafzimmertür. Er war starr vor Schreck.
    »Ja?«
    »Was machst du da drin, Frannie?«
    Es war Flossie.
    »Ich zieh mich an.«
    »Ich hab noch nie einen Jungen erlebt, der so lange zum Anziehen braucht. Was führst du im Schilde?«
    »Nichts. Geh weg.«
    »Werd bloß nicht frech, François Nugent – das lasse ich mir nicht bieten!«
    »Bitte? Ich – mir ist nicht gut.«
    »Schon wieder dein Magen?«
    »Äh, ja.«
    »Wenn das so ist, bringe ich dir was.«
    »Ich brauche nichts.«
    »Natürlich tust du das. Wenn dir nicht gut ist, brauchst du was von meiner selbst gemachten Hühnersuppe. Ich hole dir welche, bin gleich wieder da.«
    Er horchte auf ihre Fußtritte auf der Treppe, und als er sicher war, dass sie weg war, glitt er aus dem Zimmer. Er war die Hintertreppe runter und durch die Geschirrkammer draußen, noch bevor sie es in die Küche geschafft hatte.
    Er hatte einen Job zu erledigen. Es wurde Zeit, einen Vampir zu töten.

KAPITEL 73
    Troy war eine hübsche Stadt im County Rensselaer, gelegen am Ostufer des Hudson, nur vierzehn Kilometer von Albany entfernt. Lee war einmal vor Jahren durchgekommen und entsann sich, dass ihm ein seltsamer Kontrast zwischen der architektonischen Schönheit und der deprimierten Atmosphäre der Stadt aufgefallen war. Sie brachen am frühen Nachmittag auf, um dem Berufsverkehr zu entgehen, und stiegen in Detective Butts geräumigen Chevrolet Caravan. Quinlan war schon vorgefahren, um bei seinem Cousin zu übernachten, und sie würden sich später mit ihm treffen. Butts bat Lee zu fahren und verbrachte den Großteil der Fahrt damit, sich auf dem Rücksitz in einen Reiseführer zu vertiefen. Lee stellte fest, dass der kleine Detective eine Vorliebe für Prospekte und Reiseinformationen hatte.
    »He«, rief er irgendwann vom Rücksitz, »wussten Sie, dass Troy vor hundert Jahren eine der reichsten Städte im Land war?«
    »Faszinierend«, bemerkte Krieger trocken. »Erzählen Sie uns doch bitte mehr.«
    »Okay«, sagte er vergnügt. Und las vor: »›Bedeutung erlangte die Stadt in der industriellen Revolution. Sie war ein wichtiger Transportknotenpunkt am Zusammenfluss von Erie-Kanal und Hudson.‹«
    Lee spürte förmlich, wie Krieger, die neben ihm saß, die Augen verdrehte.
    »›Mit Aufkommen des Eisenbahnwesens durchlebte Troy schwere Zeiten, von denen es sich nie wieder richtig erholte. Und doch lag in diesem Fluch auch ein Segen. Troys lang andauerndes wirtschaftliches Tief bewahrte es vor den kreisenden Haien, die als Projektentwickler bekannt sind. Vergessen und vernachlässigt, stehen deshalb die meisten der herrlichen Gebäude aus seiner Blütezeit im 19. Jahrhundert noch in all ihrer Pracht.‹«
    »Um Gottes willen, aufhören!«, flehte Krieger.
    »Sie finden diese Sachen nicht interessant?« Er klang ernsthaft beleidigt.
    »Nein.«
    »Worüber würden Sie sich denn dann gern unterhalten?«
    Als hätte man einen Fünfjährigen auf dem Rücksitz, dachte Lee. Sie gaben schon eine komische Familie ab – Butts als quengeliges Kind, Krieger als die strenge Mutter und er selbst als friedensstiftender Vater wider Willen.
    »Können wir nicht einfach eine Schweigepause einlegen?«, sagte Krieger.
    »Schön – wie Sie wollen«, meinte Butts eingeschnappt. Jetzt war dicke Luft. Butts schmollte gern und gegenüber jedem, aber es hielt nie lange an. Lee konzentrierte sich aufs Fahren. Der Wagen schoss über die Schnellstraße, eine dünne Auspuffwolke hinter sich herziehend.
    »Sie sollten den Wagen mal in die Werkstatt bringen«, bemerkte Krieger. Eisiges Schweigen schlug ihr entgegen.
    Die Fahrt dauerte exakt die drei Stunden, die der Routenplaner vorausgesagt hatte. Gegen sechzehn Uhr überquerten sie von Albany kommend die Brücke. Der Ball sollte erst gegen zwanzig Uhr beginnen, aber sie hatten sich einen Zeitpuffer eingebaut, um sich mit der Stadt vertraut zu machen.
    Lee nahm die Washington Avenue zur Route 4 am Nordrand des Blooming-Grove-Friedhofs entlang. Er fuhr langsamer und sah im Vorbeifahren ein großes Grabmal, auf dem ein Engel mit ausgebreiteten Flügeln und seligem Gesichtsausdruck saß. »Ewig geliebt, unvergessen«, stand auf dem Grabstein. Die Inschrift ließ Lee an seine Angst denken, dass er seine Schwester eines Tages
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