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In Santiago sehen wir uns wieder

In Santiago sehen wir uns wieder

Titel: In Santiago sehen wir uns wieder
Autoren: Brigitte Uhde-Stahl
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achtzehnten Geburtstag hatte sie den Weg nach Hause in die Goldene Stadt gefunden.« - »Ach nee, und wir brauchen sieben Wochen. Sag mal, Bella« - Amandas Stimmchen klingt zaghaft -, »was wird aus mir, wenn wir in Santiago angekommen sind?« - »Erst einmal muss ich meine Füße finden, dann eine Pension, dann gibt es die Pilgermesse... und dann gehen wir ans Ende der Welt, nach Finisterra? Oder besser, wir fahren mit dem Bus. Lass uns sehen. Ich kann doch nicht einfach zu gehen aufhören... und mein Herz, ich weiß nicht, ob es schon so richtig offen ist. Im Übrigen tut meine linke Fußsohle weh, ich kann kaum auftreten.«
    Wir gehen durch ein Dorf, das letzte vor dem Flughafen. Eine graue Gestalt kommt uns entgegen. Natürlich, denke ich, manche Pilger gehen den gesamten Weg auch wieder zu Fuß zurück. In diesem Augenblick erkenne ich - »Pascal«, schreit Amanda, »Bella, es ist Pascal!« - »Bella!« schon liegen wir uns in den Armen. »Ich kann es nicht fassen, Pascal! Das Wunder aller Wunder, heute am letzten Tag!« - »La vie est magique, Bella, ich habe auf dich gewartet. Als du auch in Finisterra nicht auftauchtest, habe ich in ganz Santiago nach dir gesucht, in der Kathedrale, in den anderen Kirchen, den Herbergen, in den Bars und Restaurants, überall. >Du wirst sie treffen<, sagte eine Stimme in mir. Und da bist du!« Wir sitzen in einer Bar und erzählen. »Weißt du, Bella, du hast mir in San Bol das Farbensehen beigebracht. Ich habe geübt und verstanden: Gott ist überall.« - »Sehen >sin jugar<, ja. Das Lauschen - hören, ohne zu beurteilen - hast du in der Templerkirche von Villalcázar selbst gefunden!« - »Weil du mir das Schauen beigebracht hast. An Farben, zum Beispiel dem Grün, habe ich mich aufgeladen, wenn ich leer und ausgepumpt war. Auch zur Natur habe ich ein neues Verhältnis. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Erlebnisse ich mit Tieren hatte, mit Schlangen, Eichhörnchen, Fröschen.« - »Mit Schnecken auch?« fragt Amanda leise aus der Pilgermuschel heraus und wird, glaube ich, ein bisschen rot. »Was ich von dir gelernt habe, Pascal, du kannst es dir nicht vorstellen, der große Universalkitt, die allumfassende Liebe - sie ist der Schlüssel. Ja, nun geht auch meine Pilgerreise zu Ende.« - »Du kannst den Weg nicht beenden, Bella. Du bleibst immer Pilgerin, denn der Camino ruft dich, und du gehst. Die Welt wird sich ändern, du wirst sehen. Es sind so viele Pilger unterwegs, die den Ruf vernommen haben.« - »Vielleicht, wir können nur dies eine tun - gehen - und alles ist eins.« - »Jeder von uns ist ein Stern, und viele Sterne ergeben eine Milchstraße.«
     
    ❖
     
    Monte do Gozo. Der Berg der Freude oberhalb Santiagos. Der Himmel ist dunstig und grau. Von der Stadt sieht man außer Bäumen nur hässliche Wohnblöcke. Ich gehe den Berg hinunter, eine riesige Straßenkreuzung: >Santiago<.
    »Was ist los mit dir, Bella. Du gehst immer langsamer und siehst gar nicht froh aus. Weinst du? Du hast die Brille abgenommen.« - »Ja, ich weine. Siehst du die gelben Pfeile? Meine stillen Begleiter seit sieben Wochen. Mehr als 850 000 Meter, rund 1 500 000 Schritte lang haben sie mir den Weg gewiesen. Und jetzt sind wir fast angekommen. Der kleine gelbe Pfeil, mal deutlich sichtbar, mal fast erloschen - immer hat er mich geführt, uns, den ganzen Strom der Pilger, und das hört jetzt auf.« Wir werden angehupt, Menschen winken - Pilger, die nach Hause fahren. Wir rücken nach, hinter uns die Nächsten. »Hast du vergessen, was Pascal gesagt hat? Du wirst immer Pilgerin bleiben.« - »Ohne gelbe Pfeile ist das Wandern schwieriger.« Es geht weiter, weiter und höher. Von der Kathedrale ist nichts zu sehen. Wir überqueren eine Straße und erreichen den Platz Porta do Camino. Die Altstadt beginnt. Weit kann es nicht mehr sein. Mein Gang wird schwerer und schwerer.
    Amanda: »Bella, ich habe gedacht...« - »Süße, das habe ich auch gedacht. Aber jetzt, wo ich mich dem Ziel nähere, habe ich das Gefühl, dass mein Leben aus Wanderschaft bestanden habe und dass ich nun an seinem Ende angekommen sei. Mein ganzes Leben habe ich, so scheint es mir, darauf gewartet, hier anzukommen. Die Goldene Stadt, das große Tor, frag nicht weiter, ich verstehe es selbst nicht.«
    Zwischen den Häuserschluchten entdecke ich einen verschnörkelten Turm, einen zweiten - die Kathedrale! Wir nähern uns von hinten - da, ein Seitenportal, welche Pracht. Aber wir werden das Paradies von vorn betreten.
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