Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Santiago sehen wir uns wieder

In Santiago sehen wir uns wieder

Titel: In Santiago sehen wir uns wieder
Autoren: Brigitte Uhde-Stahl
Vom Netzwerk:
schon von sich behaupten? Der eine Lebensfaden kommt von weit her und geht durch alle hindurch. Das ist doch auch ein Gehen und Wandern und Kommen, Erscheinen und wieder Verschwinden. Als ich mit Lovisa sprach, fühlte ich mich so jung wie sie, sie könnte meine Tochter sein, und doch... « - »Der junge Mann hat in der Dunkelheit wohl auch auf 35 getippt«, kichert Amanda in ihrer Muschel. »Blöde Kuh«, fauche ich nach hinten. »Sei nicht so empfindlich. Jedenfalls, wenn du einmal alt und klapprig bist und vielleicht im Rollstuhl sitzt, kannst du deinen Enkelkindern oder Urenkeln von deinen Machenschaften auf dem Jakobsweg erzählen. Junge Männer im Dunkeln verführen, oh Großmutter!« Wir lachen beide, gehen und gehen, und kommen in Santa Irene, der letzten Herberge vor Santiago, an.
     
    Die Sonne neigte sich dem Horizont im Westen zu. Der Schatten in Lenis Rücken war lang und dünn geworden. Voller Hoffnung wanderte die Prinzessin der Sonne nach, spürte weder Hunger noch Durst. Plötzlich wurde es sehr heiß, es prasselte und knackte. Vor Leni brannte ein riesiges Feuer. Ich verbrenne, dachte sie voller Angst. »Hol mich heraus, Leni«, hörte sie eine Stimme rufen, »ich habe lange auf dich gewartet.« Etwas im Feuer hüpfte hin und her, es sah aus wie ein brennendes Stück Holz. Die Prinzessin überlegte nicht lange, sie ging einfach auf das Feuer zu und in das Feuer hinein. Da begann es zu rauschen. Die Fische des Teiches platschten heran und spuckten aus ihren tausend Mäulern Wasser in das Feuer. Das Feuer zischte und dampfte. Nun flatterten die Schmetterlinge des Gebirges durch die Lüfte. Mit ihren Flügeln schlugen sie das Feuer nieder, bis es nur noch rauchte. Dann dröhnte es mächtig. Die Kröten der Erde stampften herbei und warfen Steine auf die Glut. Das Feuer war aus, und vor Leni stand die Fee, sie trug ein feuerrotes Gewand. Reine reichte Leni das noch fehlende Stück vom goldenen Becher und berührte ihr Herz. Ein Tor ging auf... Es war Nacht geworden. Müde legte sich Leni ins Gras. Über ihr leuchteten die Sterne auf einer milchigen Straße, die im Osten, wo die Sonne aufgegangen war, begann und dort, wo sie untergegangen war, endete. Morgen gehe ich weiter, dachte die Prinzessin, so lange, bis ich nach Hause finde. Tief erfüllt und glücklich schlief sie ein.
     

Die Ankunft
     
    ❖❖❖❖❖❖❖
     
     

Es gibt keinen Tod.
    Das ganze Universum ist erfüllt von Leben.
    »Ich bin die Auferstehung und das Leben«.
    Inschrift auf einer Tafel
    in La Virgen del Camino
     

Santa Irene – Santiago
    Samstag, 2. August
     
    Es ist noch dunkel, als Lovisa und ich aufbrechen. Mit der Taschenlampe suchen wir uns an den gelben Pfeilen entlang durch die Eukalyptuswälder. Von allen Seiten stoßen Pilger auf den Jakobsweg. Es ist ein fröhliches Dahingehen, man wirft sich Grußworte zu. Nur noch heute, eine letzte Anstrengung. Es schlurft und schleift, tappt und tockt auf dem Weg. Es wird hell - man trifft sich in der ersten Bar zum Frühstück. »Bella, heute wird es wahr!« Alexandra strahlt. Ich gehe, gehe. Auf einem Felsen mit Blick auf ein Dorf halte ich Rast. Amanda: »Bella, was ist mit Leni? Sie ist tapfer durch vier Gefahren gegangen, um die Bruchstücke ihres Taufbechers zu finden - und jetzt?« - »Wir haben einen langen Weg vor uns - ich wollte schnell...« - »Schnell? Jetzt zum Schluss, hast du schon vergessen?« - »Du hast recht, Kleine, also...« Und so endet die Geschichte der Prinzessin Leni:
    Am Morgen ging die Sonne im Osten auf. Leni ließ sie hinter sich, folgte ihrem Schatten und ging gegen Westen. Sie ging und ging. Als die Sonne ihr ins Gesicht schien und der Schatten hinter ihr lang und dünn wurde, sah sie in der Ferne goldene Türme. Sie kam näher und erkannte die Goldene Stadt, die Stadt ihrer Eltern. Die Tore gingen auf, die Straßen waren festlich beleuchtet, mit Blumengirlanden geschmückt. Vor dem Schloss warteten schon die Eltern auf sie. Rechts von ihnen stand die Fee Reine, ihre Patentante, und links von den Eltern -
     
    »Na«, sagt Amanda, »sicher der Königssohn. Habe ich Recht? Dann feierten sie ein rauschendes Hochzeitsfest, und wenn sie nicht gestorben sind, dann...« - »He Amanda, kleines Biest, stiehl mir nicht die Pointe! Die beiden feierten Hochzeit, in der Tat, aber weißt du, wie lange die Reise der Prinzessin insgesamt gedauert hat?« - »Klar, zwei Tage, ich kann doch rechnen!« - »Eben nicht! Vier Jahre war sie weg, und zu ihrem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher