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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land
Autoren: Jan Weiler
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Manuskript auf dem Schoß, und höre dem Herrn zu, der mich auf der Bühne ankündigt.
    Es ist stockdunkel hinter der Bühne, und wie der Mann so über mich spricht und spricht (er hat sich wirklich sehr gut vorbereitet), denke ich: So muss das sein, wenn einer lebendig begraben wurde und dann der Predigt zuhört. Irgendwann schließt der Herr und donnert: «Begrüßen Sie nun mit mir: Jan Weiler.» Frenetischer Applaus klingt anders, denke ich, und schlüpfe durch den Schlitz im Vorhang. Geblendet vom Bühnenlicht setze ich mich an das Lesetischlein und stelle fest, dass wir immerhin zu fünfundzwanzig sind. In das karge und von nicht zu viel Erwartung gespeiste Klatschen mischen sich krampfartige Huster. Die Leute sind ja schließlich nicht zum Vergnügen hier.
    Ich denke, zur Einleitung muss jetzt einfach ein Witzchen her, um das Eis zu brechen. Also sage ich guten Abend und dass das hier eine Verkaufsveranstaltung sei. «Wir haben draußen im Foyer achtzehnteilige Messersets für Sie, zum Preis von einhundertneunzig Euro. Und die Fähre legt erst wieder ab, wenn die alle weg sind.» In der dritten Reihe sitzt eine Dame, die ihrem Gatten die Hand auf den Arm legt und zischt: «Wir gehen!» Er antwortet mit einem rauen Husten. Nach dieser ebenso schwungvollen wie missglückten Einleitung wird es dann aber noch ein sehr netter Abend.

    Am nächsten Morgen mache ich noch einen Wattspaziergang. Diese Luft! Ich wünschte, ich wäre ein alter Mann und könnte das richtig genießen, nach einem langen Leben als beispielsweise Flakhelfer und Konditor.

Osterholz-Scharmbeck. Meine Nacht als Büfett
    22. September 2005
    Ich muss heute von Wyk nach Osterholz-Scharmbeck, was bei Bremen und großzügig geschätzt zweihundert Kilometer weiter südlich liegt. Dauert sechseinhalb Stunden. Wenn man unterwegs in den ICE steigt, um schicker zu reisen, dauert es siebeneinhalb Stunden. Herrlich. Man kann stundenlang aus dem Fenster schauen und Butterbrote kauen, Musik hören und Omis betrachten. Wann hat man dafür schon mal Zeit? Eigentlich nie. Ich bin jetzt schon dankbar für diese Reise.
    Die Personenfähre, die Touristen und Pendler nach Wyk und wieder zurück an Land nach Dagebüll bringt, ist ein großer eckiger Kahn mit einem zauberhaft angeschmuddelten Restaurant. Es kommt schon mal vor, dass der Kahn bei Ebbe im Watt stecken bleibt. Dann muss man eben warten, bis mindestens eine Handbreit Wasser unterm Kiel ist und sich das Ding wieder aus dem Matsch erhebt.
    Ich blättere im Schiffsrestaurant in der eingeschweißten Speisekarte herum und stoße auf folgenden Text, den ich hiermit originalgetreu wiedergebe: «Stellen Sie sich doch mal vor, dass in den 45 Minuten Überfahrt alle Bestellungen aufgenommen, ausgeführt und kassiert werden müssen. Und dabei immer freundlich sein. Na ja, um ganz ehrlich zu sein, gibt es manchmal auch ganz unfreundliche Gäste, die man am besten kielholen sollte, aber die meisten sind so nett wie Sie. Geschworen.» Gebührend eingeschüchtert, bestelle ich ein Brötchen mit Gouda und einen Tee. Ich bin supernett und werde nicht kielgeholt, was wohl auch an dem Trinkgeld liegt, das ich so ängstlich wie großzügig entrichte.
    Dann weiter im Zug nach Bremen, von dort nach Osterholz-Scharmbeck, einer kleinen protestantischen Stadt, die zwanzig Kilometer von Bremen entfernt am Teufelsmoor liegt und bis vor einigen Jahren einer amerikanischen Division mit dem passenden Namen «Hell on wheels» als Garnisonsstadt diente.
    Ich werde vom Bahnhof abgeholt und zum Hotel gebracht. In dieser sumpfigen Gegend wird Torf gestochen. Früher nannte man die Bewohner dieses Landstriches «Torfköppe». Das ist aber sehr aus der Mode gekommen. Das Hotel wirkt mit seinem dunklen Holz und den stoffbezogenen Wänden sehr englisch. Ich wedle eine September-Mücke von meinem Arm und lege mich aufs Bett. Noch eine Mücke. Na warte, Flügelschwein. Kurzes Nickerchen, auf zur Lesung. Keine besonderen Vorkommnisse.

    Kleiner Snack im Hotel, dann aufs Zimmer, wo ich das Licht lösche und auch schon beinahe schlafe, als plötzlich: SSSST an meinem linken Ohr. SSST an meinem rechten Ohr. Ich schlage drauf, erwische das Monster, mache Licht, um nachzusehen, ob sein widerlicher Mückenleib schon voll meines Blutes ist. Und dann wird mir klar, dass es in Osterholz-Scharmbeck heute zwei gutbesuchte Veranstaltungen gab, nämlich meine Lesung sowie den Weltmückenkongress. Stechmücken aus allen Erdteilen haben sich heute im Zimmer
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