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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land
Autoren: Jan Weiler
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und betrachtete mich im Außenspiegel eines Autos. Ich sah, wie die beiden Stöpsel ganz langsam links und rechts aus den Ohren wuchsen, es sah aus, als würden meinen Ohren kleine Sektkorken entweichen. Dann machte es «plopp». (rechts) und dann «plopp». (links), und ich nahm den Mist und ging wieder in den Media Markt, um ihn umzutauschen.

    Rostock habe ich schon einmal besucht. Das ist sehr lange her. Ich war damals vierundzwanzig und arbeitete fleißig daran mit, das Beitrittsgebiet von westdeutschen Konsumgütern zu überzeugen, soweit das nicht schon die DDR-Politik erledigt hatte. Ich war damals Werbetexter und interviewte in Rostock auf der Straße auskunftsfreudige Bürger zum Thema Nuss-Nougat-Creme. Die Ergebnisse («erstklassig», «so etwas gab es früher nicht», «herrlich») wurden anschließend in einem Tonstudio geschnitten und als Radiospots gesendet. Wir übernachteten in einem großen Hotel in Warnemünde, von dem man sich zuraunte, es sei komplett verwanzt und die Stasi habe dort jeden Gast ausgehorcht. An der Hotelbar saßen ab zwanzig Uhr Pharmavertreter und Prostituierte.
    Einige Zeit später errang die Stadt Rostock weltweite Bekanntheit, weil einige Einwohner des Stadtteils Lichtenhagen den dort in einem Plattenbau untergebrachten Asylbewerbern Molotow-Cocktails durchs Fenster warfen und die Feuerwehr daran hinderten, die hundert Eingeschlossenen zu befreien. Besonders erinnerlich ist dabei das Foto eines Rostockers mit Deutschland-Trikot und vollgepisster Jogginghose, der gerade den Arm zum Hitlergruß hebt. Die Zeitschrift «Titanic» druckte das Bild und schrieb darunter: «Bitte ein bit.» Hat jede Stadt die Einwohner, die sie verdient? Oder ist das nur Zufall und hätte überall sonst genauso passieren können? Wahrscheinlich. Mölln in Schleswig-Holstein ist auch so ein Ort trauriger Berühmtheit. Früher konnten sich Bürgermeister noch damit trösten, dass auch hässliche Bilder mit der Zeit verblassten, aber heutzutage währen sie ewig, sind in alle Zukunft abrufbar. Katastrophenorte bleiben Katastrophenorte und heißen Eschede, Ramstein oder Bad Kleinen, wo der Zug nach Rostock anhält.

    Lesung in einer großen Buchhandlung, danach hungrig ins Hotel. Dort ist schon alles dunkel. Ich frage nach, ob es nicht doch noch ein Häppchen gebe, es müsse nicht einmal warm sein. Daraufhin bindet sich eine junge Frau die Kellnerschürze um und knipst das Licht im Essenssaal an. Der Koch, der schon nach Hause wollte, setzt seine Mütze auf und brät mir einen Fisch. Ganz alleine sitze ich im riesigen Hotelrestaurant, wo bereits fürs Frühstück eingedeckt ist. Dabei blättere ich in einem winzigen Büchlein, das ich geschenkt bekommen habe. Das englischsprachige Werk mit dem Titel «County of Rostock» misst bloß fünf mal fünf Zentimeter und stammt noch aus DDR-Zeiten. Es beinhaltet neben einem erbaulichen Vorwort («the area has certainly seen many ups and downs in its history») etwa zweihundert sehr hübsche Farbfotos von Besuchen Erich Honeckers bei der Rostocker FDJ, auch Aufnahmen vom Hafen, von Holzschuhen, einer gutbesuchten Bäckerei, der Jugendweihe, den Märkten und Häusern und Bürgern der Stadt. Die ist wirklich hübsch und unterhält Partnerschaften in der ganzen Welt, eine davon übrigens mit der Stadt Bremen. Noch aus früheren Zeiten, als dieses Bremen Ausland war. Damals gab es noch keine Nuss-Nougat-Creme und keine Asylanten in Rostock. Merkwürdig, wie am Ende alles zusammenhängt.

Lübeck. Träume von weißen Anzügen
    20. September 2005
    Lübeck ist so was von zauberhaft! Der Mühlenteich! Die Häuser! Die Geschäfte! Das Marzipan! Zwar steht hier offenbar kein Denkmal für Günter Grass, wohl aber eines von Günter Grass, im Innenhof des gleichnamigen Hauses. Dann ist ja gut.
    Mittags angekommen, mache ich einen Rundgang und esse einen Junkfood-Klassiker: Hühnchen, gebacken mit süßsaurer Soße und Reis. Hmm. Schmeckt, als sei sogar die Soße frittiert. Vor dem Schnellimbiss hält ein dicker Türke Hof. Er ist höchstens zwanzig Jahre alt, benimmt sich aber wie Marlon Brando in «Der Pate». Auf seinen Wink erheben sich seine Begleiter von den weißen Plastikstühlen, die vor dem Laden stehen, und öffnen ihm die Beifahrertür eines violettlackierten Dreier-BMWs. Er steigt ein, die Gang fährt ab. Bevor der Wagen wendet, sieht der Dicke mich aus dem Fenster an und lächelt. Die ganze Inszenierung nur für mich, denn sonst ist niemand zu sehen.

    Abends
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