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In meinem kleinen Land

In meinem kleinen Land

Titel: In meinem kleinen Land
Autoren: Jan Weiler
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zurück, meinen Vorschlag. Entschuldigung. Ich bin sofort wieder ein braver, in den siebziger und achtziger Jahren sozialisierter Deutscher, der sich aus lauter Angst vor übertriebenem Nationalismus nicht darüber beklagt, dass kein Mensch weiß, wo Iserlohn ist. Und ich reihe mich nach diesem Gedankenspiel auch sofort wieder brav in die Phalanx modernistischer deutscher Autoren ein, die reflexartig erklären, dass es keinen Grund gebe, zu wissen, wo Iserlohn liegt, weil man ohnehin nie hinfahren würde.

    Schade, dass man immer nur einen Tag bleibt. Das reicht nicht, nicht einmal auf der kleinen Insel Föhr, wo die Orte heißen wie in Asterix-Heften: Wrixum, Boldixum, Oevenum, Midlum. Fünfzehn Kilometer Sandstrand haben die hier. Man bekommt frischen Fisch und rote Wangen und glänzende Augen, denn hier ist alles so schön weiß (Häuser), blau (Himmel), grün (Weiden). Das ergibt zusammen mit den Reetdächern, der Tracht und der gepflegten Einkaufsstraße eine durchaus prachtvoll zu nennende Folklore.
    In Wyk auf Föhr übernachte ich im Kurhotel, wo jetzt in der beginnenden Nachsaison vor allem ältere Menschen absteigen. Und was machen die den ganzen Tag in diesem Luftkurort? Na was wohl, husten natürlich. Sie werden von mir aber jetzt kein Seniorenbashing lesen, weil man gegen den Senior von heute kaum mehr etwas haben kann, denn er ist im Regelfall zu jung, um in der Waffen-SS gewesen zu sein. Wenn man heute einen Achtzigjährigen fragt, was er in der Nazizeit gemacht hat, war er in der Regel Schüler oder Flakhelfer. Vor zehn Jahren war das noch anders. Wir Jüngeren müssen uns nun allmählich darauf einstellen, dass die Frage, was der Mann neben uns im Bus wohl im Dritten Reich gemacht haben mag, nicht mehr Anlass zu düsteren Ahnungen sein kann.

    Die Friesen sind freundliche Menschen mit einem großen Talent für den Fremdenverkehr. Es würde mich nicht wundern, wenn Wyk auf Föhr im Oktober abgebaut würde, um dann über Winter eingelagert und erst Ende April wieder auf markierten Flächen installiert zu werden. Die Bewohner von Wyk legen die gestreiften Hemden ebenso ab wie ihren Dialekt und fahren für fünf Monate heim nach Thüringen.
    Auch die Sache mit der Ebbe ist ein großes Mysterium. Natürlich haben wir irgendwann gelernt, wie das mit den Gezeiten funktioniert. Mond und so. Jaja. Natürlich alles Lüge. In Wahrheit sind Ebbe und Flut eine Erfindung der nordfriesischen Fremdenverkehrsdirektion. Die Bürgermeister der Inseln wechseln sich wochenweise damit ab, zu einem als Boje getarnten Stöpsel vor Helgoland zu fahren, den sie ziehen, auf dass das Wasser abläuft. Und warum das Ganze? Es sieht erstens spektakulär aus und bedeutet zweitens einen immensen Landgewinn. Man bekommt einfach mehr Gäste unter.
    Das Wasser verschwindet also geisterhaft und macht allerhand Sonderbares sichtbar, zum Beispiel kleine Löcher mit gekringelten Sandhaufen, die ich mit dem großen Zeh inspiziere, was aber keinen großen Erkenntnisgewinn zeitigt. Dafür riecht es ungemein gesund auf einem Wattspaziergang.
    Man kann unter günstigen Umständen von Föhr nach Amrum laufen. Allerdings sind die Föhrer durchweg der Ansicht, dass sich der Weg nicht lohnt. Ich laufe über das Watt und beobachte Krebse, die ausgezeichnete Tänzer sind, und sammle natürlich Muscheln. So stakst man wie ein Storch im Watt herum und sieht dabei die meiste Zeit nach unten, was ein Anfängerfehler ist, denn irgendwann bilden sich große Pfützen, die man umlaufen muss. Währenddessen vergrößern sich die Pfützen zu kleinen Teichen, dann zu Seen, und urplötzlich steht man mit käsigen Beinen bis überm Knöchel drin, krempelt die Hosenbeine hoch und wird gewahr, dass es mit der Ebbe so was von vorbei ist. Und dass man es doch recht weit zum Strand hat. Man mäandert in einer komischen Verzweiflung und ohne echte Angst durchs Watt und blickt schließlich, am Ufer angekommen, aufs Meer zurück. Uff. Kleines Abenteuer. Das haben die sich wirklich toll ausgedacht hier.

    Abends lese ich im Kurgartensaal und stelle schnell fest, dass die Zuschauer überhaupt nicht wegen mir gekommen sind. Sie würden sich auch eine Vorführung des Börner-V-Hobels ansehen oder einen Flohzirkus oder ein Damen-Rodeo. Aber das gibt es heute nicht. Der große Kursaal hat eine professionelle Bühne und dahinter einen dicken schwarzen Vorhang. Zwischen diesem Vorhang und der Wand sind etwa fünfzig Zentimeter Platz. Und da sitze ich auf einem Stühlchen, das
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