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In Gottes Namen. Amen!

In Gottes Namen. Amen!

Titel: In Gottes Namen. Amen!
Autoren: Simon Rich
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    »Craig?«
    »Was?«
    »Du hast ins Leere gestarrt.«
    »Oh – tut mir leid. Ich bin einfach nur müde.«
    Sie beugte sich ein kleines Stück vor. »Danke, dass du mir hier alles gezeigt hast. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
    »Kein Problem!«, sagte Craig. »Ich meine, ist doch mein Job.«
    Sie trank ihren Kaffee in einem Zug aus und ließ ihn allein im Pausenraum sitzen.
    Craigs Atem war flach, und sein Herz raste – doch als er in seine Kabine zurückkehrte und seinen Computer einschaltete, überkam ihn ein Gefühl der Ruhe. Ein Vierunddreißigjähriger in Amsterdam musste rechtzeitig mit dem Fahrrad durch den dichten Verkehr, um die Wüstenrennmaus seiner Tochter zu füttern. So was verstand er – damit kam er klar.
    In den vergangenen drei Jahren hatte Craig genau ein Date gehabt. Er hatte zwar kaum Vergleichsmöglichkeiten, aber er wusste, dass das Treffen in die Hose gegangen war. Sein erster Fehler war – rückblickend begriff er das –, darauf zu bestehen, sich mit dem Mädchen in der Büro-Kantine zu verabreden. Damals war er noch Unterengel in der Abteilung für Schneeflocken-Design und hatte sich nicht getraut, seinen Arbeitsplatz länger als dreißig Minuten zu verlassen.
    Er konnte sich nicht entscheiden, ob er das Mädchen hübsch fand, was teilweise daran lag, dass er zu schüchtern war, um sie direkt anzusehen. Aber sie schien recht nett zu sein, und in der darauffolgenden Woche hatte er genug Mut gesammelt, sie noch einmal anzurufen.
    »Ich glaube, das ist keine gute Idee«, sagte sie. »Du bist mir einfach zu arbeitswütig.«
    »Was?«, fragte Craig. Er entwarf gerade eine Schneeflocke und hatte ihr nicht richtig zugehört.
    »Du bist mir zu arbeitswütig« , wiederholte sie.
    »Oh«, sagte er.
    Craig wusste, dass seine Leidenschaft für die Arbeit ungewöhnlich war, aber er konnte nichts dagegen machen. Sein Job bestimmte sein gesamtes Dasein. Craig wohnte wie alle seine Kollegen auf dem Himmels-Campus, einer weitläufigen Enklave mit Wohnheimen, Bürogebäuden und Snack-Bars. Sein Zuhause befand sich nur fünf Minuten von seinem Büro entfernt – wenn er mit dem Roller fuhr, ging es sogar noch schneller. In Wirklichkeit war das aber auch ein kleines bisschen deprimierend. Der Himmel war so weit, trotzdem spielte sich sein gesamtes Leben auf nur einem halben Hektar ab.
    Craig musste nicht Engel sein. Die meisten im Himmel waren zufrieden damit, als Pagen oder Sekretärinnen zu arbeiten, sie schlafwandelten durch ihre Dienstzeit, bis es Zeit war, in den Ruhestand zu treten. Gott verlangte vierzig Arbeitsjahre, wobei egal war, für welchen Job man sich entschied. Die meisten Angestellten bei Heaven Inc. verbrachten täglich weniger als fünf Stunden im Büro. Auf dem Campus gab es alles: Tennisplätze, Boccia, einen Koi-Teich. Man musste bescheuert sein, um seine gesamte Zeit in geschlossenen Räumen zu verbringen.
    Doch immer, wenn sich Craig für Golfstunden anmeldete oder ein Ruderboot mietete, kam er sich blöde dabei vor. Es gab so viele Sachen im Himmel, die ihm Spaß machten. Aber nichts war so spannend wie das, was man auf der Erde anstellen konnte.
    In Craigs Leben gab es so vieles, woran er nichts ändern konnte: sein Carpaltunnelsyndrom, seine zunehmende Schlaflosigkeit, seine Scheu vor anderen. Aber bei den Menschen konnte er etwas ändern. Er würde ihnen zu kleinen Siegen verhelfen, kleine Tragödien abwenden, ihnen kleine Portionen Glück servieren. Er wusste, dass es verrückt war, so viel Zeit mit ihnen zu verbringen und sich derart in ihre Belange einzumischen. Sie hatten ja nicht mal eine Ahnung, dass es ihn überhaupt gab. Seine Wunder waren zwangsläufig unsichtbar – und würden es auch immer bleiben. Dennoch hatte er in gewisser Hinsicht das Gefühl, die Menschen würden sich auf ihn verlassen. Und er wollte sie nicht im Stich lassen.
    Manchmal, wenn er Aufmunterung brauchte, sah er sich Videos von Kindern an, die sich über die Schneetage freuten, die er fabriziert hatte. Ein Mädchen, eine Außenseiterin aus einer achten Klasse in Schweden, war so aufgeregt, als sie hörte, die Schule würde ausfallen, dass sie sofort einen Breakdance hinlegte. Ihre Bewegungen wirkten so ansteckend, dass es Craig in seiner Kabine nicht mehr auf dem Stuhl hielt und er mittanzte, die Hüfte schwang und mit den Fäusten in die Luft schlug. Es war der glücklichste Augenblick seiner Laufbahn.
    Er wusste, dass seine Wunder klein und oft lächerlich waren. Aber er liebte jedes
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