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In Gottes Namen. Amen!

In Gottes Namen. Amen!

Titel: In Gottes Namen. Amen!
Autoren: Simon Rich
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einzelne. Erst wenn er seinen Computer ausschaltete und einsam mit dem Fahrstuhl nach unten fuhr, fragte er sich manchmal: Brauchen mich die Menschen wirklich? Oder ist es andersherum?
    Eliza sah zu, wie der Nachtportier seinen Mantel überzog und das Büro verließ. Es war sieben Uhr früh. Sie hatte die ganze Nacht über einem Angelausflug eines Vater-Sohn-Gespanns in Arkansas gesessen und vergeblich versucht, einen Barsch anbeißen zu lassen. Sie hatte das Kapitel über Strömungsumleitungen genau gelesen, aber das meiste davon überstieg ihren Horizont.
    Wie gelang es Craig nur, seinen Job so leicht aussehen zu lassen? Sie wusste, dass sich das nicht gehörte, aber als er nach Hause gegangen war, hatte sie sich seinen Computer angesehen. Er hatte bereits mehrere Wunder in dieser Woche abgeschlossen, dem Anschein nach allesamt ziemlich cool.
    In Portugal hatte er einen Ben & Jerry’s-Kühlschrank kaputtgemacht, weswegen der Geschäftsführer die schmelzende Eiscreme hatte verschenken müssen.
    In Melbourne hatte er den iPod eines alten Mannes manipuliert, so dass er immer wieder Birthday von den Beatles spielte, bis dem Mann einfiel, dass er seiner Frau ein Geschenk kaufen musste.
    In Oxford hatte er vorausgesehen, dass ein älterer Professor kurz davor war, Charles, seinen einzigen schwarzen Studenten, als »Jamal« anzusprechen. Rasch hatte er den Feueralarm kurzgeschlossen und das Klassenzimmer gerade noch rechtzeitig geräumt.
    Er hatte die Piñata für einen schwächlichen Drittklässler in Puebla gelockert, die Gleichaltrigen waren völlig verdattert und der kleine Junge wurde zum Helden.
    Er hatte dreizehn Sternschnuppen, elf Regenbogen und einhundertvierzig Windstöße erzeugt.
    Und sie bekam nicht einen einzigen Fisch an die Angel.
    Kritisch musterte sie ihr bleiches Spiegelbild im Computerbildschirm. Sie würde kürzer treten müssen. Noch keine Woche im neuen Job und schon ähnelte sie dem erbärmlichen Klischee vom verwahrlosten, ausgebrannten Engel. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, und ihr Rückgrat knackte hörbar, eine Reihe beunruhigender Laute. Ein letztes Mal noch wollte sie es mit dem Wunder versuchen und es dann aufgeben.
    »Komm schon, du blöder Fisch …«
    Sie hielt inne. Etwas stimmte nicht.
    »Was zum Teufel ist das?«
    Ihr Computer fing an zu piepen, gleichzeitig blinkte ein Schriftzug wie ein wahrgewordener Albtraum auf dem Bildschirm.
Unnatürliche Strömungen.
Code Black.
    Sie sah in Craigs Kabine, aber er war noch nicht wieder da. Auch sonst niemand; sie war die Einzige im gesamten Stockwerk. Sie durchwühlte ihren Schreibtisch und warf dabei mehrere halb volle Kaffeebecher um, bis sie endlich das Handbuch fand. Es war ein umfangreicher Band, so groß wie eine Hutschachtel, mit winziger Schrift und so dünnen Seiten, dass sie fast durchsichtig waren.
    »Code Black, Code Black …«
    Sie brauchte fünf Minuten, bis sie den Eintrag gefunden hatte, und weitere zehn, um zu kapieren, dass die Situation wirklich ernst war.
Code Black: möglicher Tsunami.
Potentielle Todesfälle.
Gott warnen.
    Sie sah sich noch einmal im Büro um, aber es war nach wie vor vollkommen leer. Dann überlegte sie, ob sie warten sollte, bis Craig eintraf, aber die Anzeige blinkte beharrlich und mit jeder verstreichenden Sekunde piepte es in kürzeren Abständen.
    Endlich stand sie auf und rannte zum Fahrstuhl.
    »Du kannst jetzt nicht zu ihm rein«, sagte Vince und legte die Füße auf den Schreibtisch. »Er hat zu tun.«
    »Aber ich habe einen Code Black. Einen möglichen Tsunami!«
    »Lass dir einen Termin geben«, schlug Vince vor. »Allerdings beträgt die Wartezeit zwei Monate.«
    »Ich kann keine zwei Monate warten!«
    »Dann weiß ich auch nicht weiter, Schätzchen.«
    Elizas Blick trübte sich bereits vor Erschöpfung, doch ihr war, als hätte sie ein abfälliges Grinsen im Gesicht des Erzengels gesehen.
    »Scheiß drauf«, murmelte sie.
    Vince lachte ungläubig, als Eliza die Messingtür aufstieß.
    »Page! Wohin gehst du?«
    »Ich bin Engel«, korrigierte sie ihn. »Und ich will jetzt zu Gott.«
    Morgens aß Gott gerne Eier. Eigentlich egal in welcher Form. Pochiert, gebraten, gerührt. Manchmal ließ er sich etwas kommen, das er Vogelnest nannte: eine Scheibe Toast mit einem Spiegelei in der Mitte.
    Genüsslich hob er die Silberglocke vom Teller. Rühreier. Perfekt.
    Gott sah auf seine Armbanduhr und lächelte stolz. Er war jetzt schon den dritten Morgen in Folge pünktlich zur Arbeit
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