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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen
Autoren: Anne Perry
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wollen. Ein wirklich tüchtiger Kutscher. Ein guter Fahrer, kennt sich mit Pferden aus, aber ich gestehe, er ist kein Mann, für den ich viel Sympathie hege.« Er stützte sich mit den Ellbogen auf die Armlehnen seines Sessels und legte die Fingerspitzen zusammen. »In der Armee habe ich Männer wie ihn kennen gelernt. Sie sitzen auf dem Pferd wie ein Zentaur, können ein Schwert handhaben und reiten durch jedes Gelände, aber man kann sich nicht auf sie verlassen. Sie setzen immer sich selbst an die erste Stelle, nicht das Regiment. Und wenn die Schlacht sich zu ihrem Nachteil entwickelt, drücken sie sich.«
    »Aber Sie haben ihn behalten?«
    Stourbridge zuckte kaum merklich mit den Schultern. »Man wirft niemanden auf die Straße, weil man seine Art zu kennen glaubt. Man könnte sich irren. Ich hätte ihn nicht als Kammerdiener haben mögen, aber ein Kutscher ist etwas ganz anderes. Außerdem ist er der Neffe meiner Köchin, und sie ist eine brave Frau. Sie ist seit fast dreißig Jahren bei der Familie. Hat als Spülmädchen angefangen, als meine eigene Mutter noch lebte.«
    Monk verstand. Wie alle anderen Dinge, die er hier erfahren hatte, war dieser Umstand leicht zu begreifen und ganz alltäglich. Er hatte keine Fragen mehr an den Major und bat nur noch um einen Bericht über den Tag, an dem Miriam Gardiner verschwunden war.
    »Ich kann Ihnen die Gästeliste zeigen, wenn Sie es wünschen«, erbot sich Stourbridge. »Aber es war niemand da, den Miriam nicht gekannt hätte, wirklich niemand, der kein Freund gewesen wäre. Glauben Sie mir, Mr. Monk, wir haben uns alle den Kopf zerbrochen, um einen Grund für Miriams Erregung zu finden, aber all unsere Bemühungen waren umsonst. Niemand weiß etwas von einem Streit, nicht einmal von irgendeiner unglückseligen oder taktlosen Bemerkung!« Instinktiv sah er aus dem Fenster, dann wandte er sich wieder Monk zu. »Miriam stand ein wenig abseits. Wir anderen spielten entweder Krocket oder beobachteten das Spiel, als Miriam plötzlich aufstöhnte, so weiß wie Papier wurde und einen Augenblick wie angewurzelt dastand. Dann drehte sie sich jäh um und lief aufs Haus zu. Sie schwankte und wäre beinahe gestolpert.« Stourbridges Stimme brach. »Seither hat sie keiner von uns gesehen!«
    Monk beugte sich vor. »Sie haben diesen Vorfall mit eigenen Augen gesehen?«
    »Nein, nicht persönlich. Hätte ich es gesehen, wäre ich ihr gefolgt.« Stourbridge sah Monk schuldbewusst an, als mache er sich Vorwürfe deswegen. »Aber mehrere andere Personen haben mir davon erzählt, und zwar immer mit den gleichen Worten. Miriam stand abseits. Niemand sprach mit ihr, niemand trat an sie heran.« Er runzelte die Stirn, und in seinen Augen stand ein Ausdruck der Verwirrung. »Ich habe alle Möglichkeiten erwogen, Mr. Monk. Wir haben Sie hinzugezogen, weil wir mit unserem Latein am Ende sind.«
    Monk erhob sich. »Ich werde alles in meiner Kraft Stehende tun, Sir«, sagte er mit einem Gefühl des Unbehagens. Als Lucius Stourbridge ihm den Fall das erste Mal geschildert hatte, war Monk eine Auflösung des Rätsels unmöglich erschienen; jetzt war er mehr denn je davon überzeugt. Was auch immer Miriam Gardiner widerfahren sein mochte, es hatte seine Wurzel in ihren eigenen Gefühlen, und ihre zukünftige Familie würde wahrscheinlich nie erfahren, was ihre überstürzte Flucht herbeigeführt hatte. Aber selbst wenn sie es erführen, würde es ihnen kein Glück bringen. Monk ärgerte sich allmählich über diese junge Frau, die so gedankenlos einen Weg eingeschlagen hatte, von dem sie hätte wissen müssen, dass sie ihn nicht bis zum Ende gehen konnte. Sie hatte mindestens zwei anständigen und ehrenhaften Menschen wehgetan, wenn nicht sogar mehreren.
    Auch Stourbridge erhob sich. »Mit wem möchten Sie als Nächstes sprechen, Mr. Monk?«
    »Mit Mrs. Stourbridge, wenn Sie so freundlich wären«, antwortete Monk, ohne zu zögern. Er wusste aus Erfahrung und von Hester, dass Frauen einander auf eine Weise beobachteten, wie Männer es nicht taten, – sie deuteten das Mienenspiel ihrer Geschlechtsgenossinnen und verstanden auch Dinge, die unausgesprochen blieben.
    »Natürlich.« Stourbridge trat in den Korridor hinaus. »Um diese Zeit hält sie sich in ihrem Salon auf.«
    Monk folgte ihm die breite, geschwungene Treppe hinauf, und diesmal hatte er Gelegenheit, sich die wunderschöne Stuckdecke und die Schnitzereien auf den Pfosten des Treppengeländers genauer anzusehen.
    Stourbridge ging den
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