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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen
Autoren: Anne Perry
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er sich einen ersten Überblick verschafft hatte. Er konnte es ihr nicht persönlich sagen, da sie sich im Krankenhaus aufhielt, wo sie mit Callandra Daviot zusammenarbeitete. Er hatte sich kategorisch geweigert zu erlauben, dass sie zu ihrem gemeinsamen Unterhalt etwas beitrug. Das Thema war nach wie vor ein Streitpunkt zwischen ihnen. Zweifellos würde sie früher oder später darauf zurückkommen.
    Im Augenblick jedenfalls hatte Monk selbst einen Fall, der seine Aufmerksamkeit beanspruchte, und er musste sich fertig machen, um Lucius Stourbridge zu begleiten.
    Das Haus der Stourbridges am Cleveland Square in Bayswater war ansprechend und zeugte von Wohlstand. Man sah, dass Geld für seine Besitzer keine Rolle spielte. Das Gebäude stammte aus einer früheren und bescheideneren Zeit. Monk gefiel es auf Anhieb, und er hätte es sicher länger bewundert, wäre ihm Lucius nicht zur Haustür vorausgeeilt. Er öffnete sie, ohne auf einen Lakaien oder ein Dienstmädchen zu warten.
    »Kommen Sie herein«, forderte er ihn auf. Dann trat er einen Schritt zurück und machte eine Handbewegung, als wolle er Monk zur Eile antreiben.
    Monk ging hinein, hatte aber keine Zeit, sich den eichenvertäfelten Korridor mit den Familienporträts anzusehen. Er nahm im Vorübergehen wahr, dass ein Bild besonders hervorstach – das Bild eines Reiters in der Uniform der Husaren zur Zeit von Waterloo. Wahrscheinlich handelte es sich um einen früheren Stourbridge, der ebenfalls eine militärische Laufbahn eingeschlagen hatte.
    Lucius ging rasch über den dunkel gekachelten Fußboden auf die Tür am anderen Ende des Korridors zu. Monk folgte ihm und konnte nur einen hastigen Blick auf die schöne Stuckdecke und die breite Treppe werfen.
    Lucius klopfte an die Tür und drehte gleich darauf den Knauf, um sie zu öffnen. Erst dann drehte er sich zu Monk um. »Bitte, treten Sie ein«, drängte er. »Sie wollen sicher meinen Vater kennen lernen und sich vielleicht von ihm bestätigen lassen, was ich Ihnen erzählt habe.« Er trat beiseite, das Gesicht von Sorgenfalten durchzogen und mit steifer Haltung. »Vater, das ist Mr. William Monk. Er hat sich bereit erklärt, uns zu helfen.« Monk ging an ihm vorbei durch die Tür. Er sah flüchtig bequeme, viel benutzte Möbel, die nicht der Wirkung halber im Raum standen, sondern um es den Bewohnern so angenehm wie möglich zu machen. Aber im nächsten Augenblick wurde seine Aufmerksamkeit schon von dem Mann gefesselt, der sich aus einem der dunklen Ledersessel erhob, um ihn zu begrüßen. Er war schlank und von kaum mehr als durchschnittlicher Größe, aber er strahlte eine Energie und Eleganz aus, die Achtung weckten. Er war ähnlich gebaut wie Lucius, ähnelte ihm sonst aber in keiner Weise. Monk schätzte ihn auf Anfang fünfzig, obwohl das blonde Haar noch kaum eine graue Strähne aufwies. Um die blauen Augen zog sich ein Kranz feiner Linien, als hätte er sie jahrelang zusammengekniffen, um sie vor grellem Licht zu schützen.
    »Guten Tag, Mr. Monk«, sagte er sofort und hielt ihm die Hand hin. »Harry Stourbridge. Von meinem Sohn weiß ich, dass Sie ein Mann sind, der uns vielleicht bei unserem familiären Ungemach helfen kann. Ich freue mich sehr, dass Sie sich bereit gefunden haben, es zu versuchen, und ich bin Ihnen überaus dankbar dafür.«
    »Guten Tag, Major Stourbridge«, sagte Monk steif. Er schüttelte Stourbridge die Hand und bemerkte, als er ihn ein wenig genauer betrachtete, eine Sorge in seiner Miene, die auch seine Höflichkeit nicht kaschieren konnte. Es gab keine Anzeichen von Erleichterung darüber, dass Miriam Gardiner verschwunden war. Auch ihn beunruhigte dieser Vorfall zutiefst.
    »Ich werde mein Bestes tun«, versprach Monk, obwohl ihm schmerzlich bewusst war, wie wenig das unter Umständen sein konnte.
    »Nehmen Sie doch Platz.« Stourbridge deutete auf einen der Sessel. »Das Mittagessen wird in einer Stunde serviert. Möchten Sie uns Gesellschaft leisten?«
    »Vielen Dank«, akzeptierte Monk die Einladung. Auf diese Weise würde er Gelegenheit haben, die verschiedenen Familienmitglieder zusammen zu beobachten und sich eine Meinung über ihre Beziehungen zu bilden. Vielleicht konnte er auf diese Weise auch herausfinden, wie Miriam Gardiner sich als Lucius’ Frau in diesen Haushalt eingefügt hätte. »Aber vorher, Sir, möchte ich gern über einige vertrauliche Dinge mit Ihnen sprechen.«
    »Natürlich, natürlich«, stimmte Stourbridge zu. Er blieb stehen und ging rastlos
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