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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen
Autoren: Anne Perry
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Flur entlang voraus. Durch ein hohes Fenster konnte man den gepflegten Rasen sehen, und Monk erhaschte einen Blick auf Krockettore, die immer noch an Ort und Stelle standen. Der Garten sah so friedlich aus im hellen Licht der Sonne, ein Ort stillen Glücks. Im Schutz einiger Bäume wuchsen Azaleen, deren letzte Blüten die dunkle Erde darunter bedeckten.
    Stourbridge klopfte an die dritte Tür im Korridor und zog sie auf ein Murmeln von der anderen Seite hin auf. Dann führte er Monk hinein.
    »Meine Liebe, dies ist Mr. Monk«, stellte er ihn vor. »Er will uns helfen, Miriam zu finden.«
    Mrs. Stourbridge saß auf einem großen, chintzbezogenen Sessel. Auf dem Kirschbaumtisch neben ihr lag ein Sammelalbum mit Gedichten und Fotografien, in dem sie offenbar geblättert hatte, bevor sie unterbrochen wurde. Die Ähnlichkeit mit ihrem Sohn war unübersehbar. Sie hatte die gleichen dunklen Augen, und die Wangen und der Hals bildeten die gleiche sanft geschwungene Linie. Wenn Lucius sie tatsächlich dem Vorschlag seines Vaters folgend besucht hatte, war er nicht lange geblieben. Sie musterte Monk voller Besorgnis. »Guten Tag«, sagte sie ernst. »Bitte, treten Sie näher. Sagen Sie mir, wie Sie meinem Sohn helfen können.«
    Monk setzte sich in den Sessel ihr gegenüber. Er war bequemer, als die gerade Rückenlehne vermuten ließ, und unter anderen Umständen hätte der helle, warme Raum behaglich gewirkt. Jetzt zermarterte er sein Gehirn nach Fragen, die er dieser Frau stellen konnte und die ihm helfen würden zu verstehen, was Miriam Gardiner zu einer so ungewöhnlichen Flucht getrieben haben mochte.
    Stourbridge entschuldigte sich und ließ sie allein. Mrs. Stourbridge sah Monk ruhig und abwartend an.
    »Würden Sie mir bitte Mrs. Gardiner beschreiben?«, bat Monk. Er wollte ein Bild vor sich haben, nicht nur, um sich Miriam Gardiner besser vorstellen zu können, sondern auch um zu erfahren, wie Mrs. Stourbridge sie sah.
    Sie schien überrascht zu sein. »Wo wollen Sie nach ihr suchen, Mr. Monk? Wir haben keine Ahnung, wohin sie gegangen sein könnte. Natürlich haben wir es bei ihr zu Hause versucht, aber sie ist nicht dorthin zurückgekehrt. Ihr Hausmädchen hat nichts mehr von ihr gehört, seit sie zu ihrem Besuch bei uns aufbrach.«
    »Ich hätte gern die Meinung einer anderen Frau über sie erfahren«, erklärte er. »Ihre Einschätzung ist wahrscheinlich weniger romantisch und vielleicht akkurater als das, was ich bisher in Erfahrung gebracht habe.«
    »Oh. Ich verstehe. Ja, natürlich.« Sie lehnte sich zurück. Sie war schlank, wahrscheinlich Mitte vierzig und von einer natürlichen Anmut, die sich in der Art und Weise ausdrückte, wie sie die Hände hielt und die ausladenden Röcke über dem Sessel ausgebreitet hatte. Während Monk ihr intelligentes Gesicht betrachtete, ging ihm durch den Kopf, dass ihr Bild von Miriam Gardiner wahrscheinlich klarer und unsentimentaler sein würde, vielleicht die erste Darstellung, die ihm wirklich Aufschluss über den Charakter der verschwundenen Frau geben würde.
    »Sie ist durchschnittlich groß«, begann Mrs. Stourbridge, die ihre Worte sorgfältig erwog. »Vielleicht eine Spur üppiger, als eine junge Frau sich das wünschen würde. Ich nehme an, mein Sohn hat Ihnen bereits erzählt, dass sie mindestens neun Jahre älter ist als er?«
    »Mindestens?«, hakte er nach. »Sie meinen, sie hat neun Jahre zugegeben, aber Sie persönlich denken, es könnten mehr sein?«
    Sie zuckte fast unmerklich mit den Schultern, ohne ihm jedoch zu antworten. »Sie hat wunderbares Haar, blond und dicht und mit sehr hübschen Naturwellen«, fuhr sie fort. »Blaue Augen, einen ziemlich guten Teint und gesunde Zähne. Insgesamt vermittelt ihr Gesicht den Eindruck von Großzügigkeit, freundlichem Wesen und durchschnittlich guter Gesundheit. Sie kleidete sich recht ansprechend, aber ohne Extravaganz. Ich denke, sie verfügt über ein bescheidenes Einkommen, mit dem sie gut zu wirtschaften vermag.«
    »Das hört sich an, als sei sie ein Ausbund an Tugend, Mrs. Stourbridge«, bemerkte Monk ein wenig trocken. »Ich sehe noch immer keine Frau aus Fleisch und Blut vor mir, nur eine Auflistung bewundernswerter Eigenschaften.«
    Sie hob pikiert die Augenbrauen und musterte ihn mit einem kühlen Blick, den er ruhig erwiderte. Nach und nach entspannte sie sich.
    »Ich verstehe«, erwiderte sie. »Natürlich. Sie haben mich gefragt, wie sie aussieht. Sie war eine sehr angenehme Erscheinung. Auch
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