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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen
Autoren: Anne Perry
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weg, als war der Teufel hinter ihm her! Niemand hat ihn geschickt! Der kommt bestimmt nicht zurück! Wenn er nicht die Biege gemacht hat, wo is’ er dann?«
    »Vielleicht hatte er einen Unfall?«, meinte Monk.
    »Das erklärt aber nicht, warum er überhaupt weg ist.« Billy sah ihn trotzig an. »Wenn er nicht tot ist, hätt’ er uns sagen müssen, was passiert ist, oder?«
    »Falls er nicht zu schwer verletzt ist«, setzte Monk den Gedankengang fort.
    Billys Augen wurden schmal. »Dann sind Sie also ein Freund von ihm?«
    »Ich hab ihn nie kennen gelernt. Ich wollte deine Meinung von ihm hören, die offensichtlich nicht allzu hoch ist.«
    Billy zögerte. »Hm – kann nicht sagen, dass ich ihn mögen würd’«, meinte er ausweichend. »Andererseits kann ich auch nichts Schlechtes über ihn sagen. Bloß dass er weg ist – was schlimm genug ist.«
    »Und Mrs. Gardiner?«, fragte Monk.
    Billy seufzte. »Das war ‘ne nette Dame, die, o ja. Wenn er ihr was angetan hat, dann hoff ich, er ist tot – und ich hoffe, er hatte einen schlimmen Tod.«
    »Du glaubst nicht, dass sie freiwillig mit ihm gegangen ist?« Billy warf einen kurzen Blick auf Campbell, dann sah er wieder Monk an. »Was sollte ‘ne Dame wie die mit ‘nem windigen Kerl wie dem? Er hat sie ab und zu durch die Gegend kutschiert, aber das war ja seine Arbeit!«
    »Hielt sie Treadwell auch für einen windigen Kerl?«
    Billy dachte kurz nach. »Hm, vielleicht nicht. Die war immer ‘n bisschen freundlicher als nötig. Naiv, wenn Sie wissen, was ich meine?«
    »Mrs. Gardiner war mit den Dienstboten immer eine Spur zu vertraulich, Mr. Monk«, erklärte Campbell die Bemerkung des Jungen. »Gut möglich, dass sie Treadwells Charakter nicht zu beurteilen vermochte. Es hat ihr wahrscheinlich niemand erzählt, dass er seine Stelle hier vor allem der Tatsache verdankte, dass er ein Verwandter der Köchin war, die in diesem Haus sehr geschätzt wird.« Er lächelte und biss sich auf die Unterlippe. »Gute Köchinnen sind ein Segen, auf den kein Haus so ohne weiteres verzichten mag, und sie hat der Familie schon treu gedient, bevor meine Schwester hierher kam.« Er sah sich im Stall um, und sein Blick verweilte auf dem leeren Kutschenplatz. »Die Tatsache bleibt bestehen, dass Treadwell verschwunden ist und mit ihm eine sehr wertvolle Kutsche, zwei gute Pferde und das gesamte Geschirr.«
    »Haben Sie den Vorfall der Polizei gemeldet?«, fragte Monk. Campbell vergrub die Hände in den Taschen und richtete sich ein klein wenig höher auf. »Noch nicht. Offen gesagt, Mr.
    Monk, ich halte es für unwahrscheinlich, dass mein Schwager in dieser Hinsicht etwas unternehmen wird. Er versucht um Lucius’ willen den Anschein zu erwecken, dass Mrs. Gardiner nichts Schlimmes zugestoßen ist und am Ende alles eine zufrieden stellende Erklärung finden wird. Ich selbst hege in dieser Beziehung leider ernste Zweifel.« Mit diesen Worten drehte er sich um und ging über den Stallhof zum Garten, wo weder Billy noch jemand anderer sie hören konnte. Monk folgte ihm, und erst als sie den geschotterten Weg, der den Rasen begrenzte, erreicht hatten, sprach Campbell weiter.
    »Ich befürchte, dass die Antwort sich als überaus einfach erweisen wird: Mrs. Gardiner war sehr charmant und auf ihre Weise attraktiv, aber sie stammte eben doch nicht aus Lucius’ Kreisen. Wahrscheinlich ist ihr, nachdem die Verliebtheit abgeklungen war, klar geworden, dass sie ihn niemals würde glücklich machen können, dass sie einfach nicht in sein Leben passte. Erklärungen wären in diesem Fall für alle Beteiligten schmerzlich gewesen, und sowohl Lucius als auch Major Stourbridge hätten es als eine Frage der Ehre betrachtet, den Versuch zu machen, ihre Meinung zu ändern. Mrs. Gardiner wusste all das und hat ihnen die Sache erleichtert, indem sie einfach weglief.«
    Er sah Monk von der Seite an, und in seinem Gesicht stand ein beinahe mitleidiger und ein wenig trauriger Ausdruck. »Es ist nicht unbedingt ein ehrloses Verhalten. Auf ihre Weise hat sie das Beste getan, was man tun konnte. Es kann kein Zweifel bestehen, dass sie Lucius liebt. Jeder konnte sehen, wie sehr sie aneinander hingen. Sie schienen ungewöhnlich viel gemein zu haben, sie dachten ähnlich, hatten einen ähnlichen Geschmack und sogar den gleichen Sinn für Humor. Aber sie ist älter als er und bereits Witwe, und sie kommt aus einer sehr – einfachen – Gesellschaftsschicht. Auf diese Weise bleibt es eine große Liebe. Die
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