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In einer Winternacht

In einer Winternacht

Titel: In einer Winternacht
Autoren: Mary Higgins Clark
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hatte Babykleidung, Windeln, Fläschchen, Babynahrung und den Kinderwagen gekauft und ein Krankenhaus in der Nahe des Hotels ausfindig gemacht. Ihr Plan war gewesen, in die Notaufnahme zu gehen, wenn die Wehen einsetzten, und dort einen falschen Namen und eine falsche Adresse anzugeben. Doch die Geburt am 3. Dezember war so rasch verlaufen, daß sie es nicht mehr bis ins Krankenhaus geschafft hatte.
    Schon am Anfang der Schwangerschaft hatte Sondra beschlossen, das Baby in New York auszusetzen. Sie liebte diese Stadt. Und seit ihrem ersten Besuch mit ihrem Großvater träumte sie davon, eines Tages in Manhattan zu leben, denn sie hatte sich dort sofort zu Hause gefühlt. Bei jenem ersten Aufenthalt hatte ihr Großvater ihr auch St. Clement gezeigt, die Kirche, in der er als kleiner Junge den Gottesdienst besucht hatte. »Wenn ich einen besonderen Wunsch hatte, kniete ich mich in die Reihe neben dem Bild von Bischof Santori und seinen Kelch«, erzählte er. »Das gab mir stets Trost, Sondra. Auch als ich bemerkte, daß meine Finger immer steifer wurden und daß es keine Aussicht auf Heilung gab, bin ich dorthin gegangen. Damals hatte ich alle Hoffnung verloren.«
    In den Tagen vor der Geburt war Sondra öfter in St. Clement gewesen. Und jedesmal hatte sie sich in dieselbe Reihe gekniet wie ihr Großvater. Sie beobachtete Monsignore Ferris und sah, daß der Geistliche ein gütiges Gesicht hatte. Sicher konnte sie ihm vertrauen. Er würde ein gutes Zuhause für das Baby finden.
    Wo ist mein Baby jetzt? fragte Sondra sich verzweifelt. Seit gestern stand sie Höllenqualen aus. Gleich nach ihrer Ankunft im Hotel hatte sie im Pfarrhaus angerufen, sich als Reporterin ausgegeben, und behauptet, sie recherchiere die Geschichte eines Babys, das am 3. Dezember vor sieben Jahren vor dem Pfarrhaus ausgesetzt worden sei.
    Der erstaunte Tonfall der Sekretärin bestätigte ihre schlimmsten Vermutungen: »Ein Baby auf der Treppe von St. Clement? Ich glaube, Sie irren sich. Ich bin jetzt seit zwanzig Jahren hier, und in dieser Zeit ist nichts derartiges vorgefallen.«
    Das Taxi bog in den Central Park South ein. Früher habe ich mir ausgemalt, daß die Leute, die das Baby adoptiert haben, es im Kinderwagen hier am Park entlang spazierenschieben, überlegte Sondra. Hier, wo es die Pferde und Kutschen sehen kann.
    Gestern am späten Nachmittag war sie in die öffentliche Bibliothek gegangen und hatte auf Mikrofilm die Ausgaben sämtlicher New Yorker Zeitungen vom 4. Dezember vor sieben Jahren durchgelesen. St. Clement wurde nur im Zusammenhang mit einem Diebstahl erwähnt: Der Kelch von Bischof Santori, des Gründers der Kirche, zu dem viele Gläubige beteten, war entwendet worden.
    Deshalb war die Polizei wahrscheinlich in jener Nacht dort gewesen; deshalb war der Monsignore nicht zu sprechen, als ich anrief, dachte Sondra, und ihre Angst wuchs. Und ich habe geglaubt, die Polizei sei wegen des Babys gekommen.
    Wer hatte das Baby dann mitgenommen? Sie hatte es in eine Papiertüte gesteckt, um es zu wärmen. Vielleicht hatten Jugendliche den Kinderwagen ein Stück weitergeschoben und stehengelassen, ohne das Kind überhaupt zu bemerken. War das Baby etwa erfroren?
    Ich komme ins Gefängnis, schoß es Sondra durch den Kopf. Großvater würde es das Herz brechen. Schließlich erzählt er mir ständig, die Opfer, die er in all den Jahren für mich gebracht hat, hätten sich nun bezahlt gemacht. Ich habe den Durchbruch geschafft, und er ist so stolz auf mich, weil ich am 23. Dezember in einem Konzert in der Carnegie Hall auftreten werde. Das hat er sich immer erträumt, erst für sich selbst und später für mich.
    In dieser Wohltätigkeitsveranstaltung mit hochkarätiger Besetzung würden die New Yorker Kritiker sie zum erstenmal spielen hören. Yo-Yo Ma, Placido Domingo, Kathleen Battle, Emanuel Ax und die hochbegabte junge Geigerin Sondra Lewis waren die Hauptattraktionen des Abends. Sie konnte es noch immer kaum fassen.
    »Wir sind da, Miss«, sagte der Taxifahrer leicht gereizt. Sondra zuckte zusammen. Wahrscheinlich war sein Tonfall so ungeduldig, weil er diese Feststellung zum zweitenmal machte.
    »Ach, tut mir leid.« Der Fahrpreis betrug 3,40 Dollar. Sie kramte einen Fünf-Dollar-Schein aus ihrer Geldbörse. »Der Rest ist für Sie.« Sie öffnete die Tür und wollte aussteigen.
    »Ich glaube nicht, daß Sie mir fünfundvierzig Dollar Trinkgeld geben möchten, Miss.«
Sondra betrachtete den Fünfzig-Dollar-Schein, den der Taxifahrer
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