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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person
Autoren: John Irving
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dir vorstellen,
dass dich jemand Schwuchtel nennt und du ihn nicht krankenhausreif schlägst?«, fragte mein Vater seinen Geliebten.
    »Netter – bemüh dich, ein wenig netter zu sein, Franny«, sagte
Bovary, doch ich sah ihn dabei lächeln. Sie waren ein niedliches, aber braves
Pärchen und sprichwörtlich wie füreinander geschaffen.
    Mein Dad stand auf und hakte die Daumen in das enge [696]  Taillenband
seines Korsetts. »Wenn die Herren so freundlich wären, mir ein wenig Privatsphäre zu gönnen«, sagte er. »Dieses groteske Mieder
bringt mich noch um.«
    Ich ging mit Bovary zurück in die Bar, wo wir unser Gespräch jedoch
nicht fortsetzen konnten, denn inzwischen waren noch mehr schlanke schwule
Jungs dazugekommen (was wohl auch daran lag, dass es an der Bar noch mehr
einzelne ältere Männer gab), eine reine Männerband spielte im pinken
Stroboskoplicht, und Männer und Jungs bewegten sich gemeinsam auf der
Tanzfläche; einige der T-Girls tanzten auch, entweder mit einem Jungen oder
miteinander.
    Als sich mein Vater an der Bar zu uns gesellte, war er ein Muster an
männlicher Konformität; zu den sportlich aussehenden Sandalen (wie auch Bovary
sie hatte) trug er ein hellbraunes Sportsakko mit einem dunkelbraunen
Taschentuch in der Brusttasche. Als wir den Club verließen, tuschelten alle:
»Franny! Franny!«
    Wir gingen gerade die Hortaleza entlang, vorbei an der Plaza de
Chueca, als eine Gruppe junger Männer meinen Vater erkannte; selbst als Mann war Franny in dem Bezirk offenbar bekannt wie ein
bunter Hund. »Vómito!«, begrüßte ihn einer der jungen
Männer fröhlich.
    »Vómito!«, gab mein Dad vergnügt zurück;
ich merkte, dass es ihn freute, erkannt zu werden, obwohl er nicht als Frau zurechtgemacht war.
    Zu meinem Erstaunen waren auch lange nach Mitternacht noch
massenhaft Menschen auf den Straßen von Chueca unterwegs. Doch Bovary erzählte mir,
die Aussichten stünden gut, dass ein landesweites striktes Rauchverbot Chueca
sogar noch lauter und voller machte. »Dann [697]  werden alle Männer draußen vor
den Clubs und Kneipen auf diesen schmalen Sträßchen stehen – und alle werden
trinken, rauchen und schreien, um gehört zu werden«, sagte Señor Bovary.
    »Denk nur an all die Bären !«, sagte mein
Vater naserümpfend.
    »William hat nichts gegen Bären, Franny«, sagte Bovary sanft. Sie
hielten Händchen, auch darin ein Muster an Korrektheit.
    Sie begleiteten mich noch bis zu meinem Hotel in der Calle de
Zurbano.
    »Franny, ich finde, du könntest deinem Sohn ruhig sagen, dass du ein
wenig stolz auf ihn bist, weil er den brutalen Rüpel verdroschen hat«, sagte
Bovary im Hof des Hotels zu meinem Vater.
    »Es ist wirklich angenehm zu wissen, dass
ich einen Sohn habe, der jemanden krankenhausreif schlagen kann«, gab mein
Vater zu.
    »Ich habe ihn nicht krankenhausreif geschlagen. Es war ein
Ringergriff – er ist nur unglücklich gefallen, auf eine harte Oberfläche«,
versuchte ich zu erklären.
    »Das hat Tennisarm-Bob mir aber anders erzählt«, erwiderte mein Dad.
»Bob hat mir den Eindruck vermittelt, du wärst mit dem Arschloch regelrecht
Schlitten gefahren.«
    »Der gute alte Bob«, sagte ich.
    Ich bot an, ihnen ein Taxi zu rufen; ich wusste nicht, dass sie
gleich nebenan wohnten. »Wir leben um die Ecke vom Santo Mauro«, erklärte Señor
Bovary. Als er mir diesmal die Hand reichte, wieder mit dem Handrücken nach
oben, nahm ich sie und drückte einen Kuss drauf.
    [698]  »Danke, dass du diese Begegnung ermöglicht hast«, sagte ich zu
Bovary. Mein Vater trat plötzlich vor und umarmte mich; außerdem gab er mir
einen raschen, trockenen Kuss auf beide Wangen – er war ausgesprochen europäisch.
    »Wenn ich das nächste Mal nach Spanien komme – wenn mein nächstes
Buch hier erscheint –, könnte ich euch doch vielleicht wieder besuchen, oder
ihr kommt nach Barcelona«, sagte ich zu meinem Vater. Doch irgendwie schien ihm
der Gedanke nicht zu behagen.
    »Vielleicht« war die einzige Reaktion meines Vaters.
    »Eventuell reden wir besser darüber, wenn es dann so weit ist«,
schlug Mr. Bovary vor.
    »Mein Manager «, sagte mein Dad und
lächelte mich an, zeigte aber auf Señor Bovary.
    » Und die Liebe deines Lebens!«, rief
Bovary fröhlich. »Vergiss das ja nie, Franny!«
    »Wie könnte ich?«, sagte mein Vater zu uns beiden. »Ich erzähl die
Geschichte doch andauernd, oder nicht?«
    Ich spürte es, das war der Abschied; es schien unwahrscheinlich,
dass ich sie je
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