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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person
Autoren: John Irving
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Füßen und warf sie Señor Bovary
zu. (Das alles ehe er begann, sich abzuschminken, angefangen bei dem Eyeliner;
die falschen Wimpern hatte er schon entfernt.)
    [693]  »Wie gut, dass ich erst gesehen habe, wie du mit dem jungen
William an der Bar geflüstert hast, als ich mit dem
Teil der Geschichte fast fertig war, der in Boston spielt«, sagte mein Vater
unwirsch zu Bovary.
    »Wie gut, dass irgendwer den jungen
William eingeladen hat, dich vor deinem Tod zu besuchen, Franny«, entgegnete
ihm Señor Bovary.
    »Mr. Bovary übertreibt, William«, sagte
mein Dad. »Wie du dich mit eigenen Augen überzeugen kannst, liege ich nicht im Sterben.«
    »Ich lasse euch beide jetzt allein«, sagte Mr. Bovary daraufhin
pikiert.
    »Untersteh dich«, sagte mein Dad der Liebe seines Lebens.
    »Okay, ich untersteh mich nicht«, erwiderte Bovary mit gespielt
komischer Resignation. Sein leidgeprüfter Blick besagte: Da siehst du, was ich
alles ertragen muss.
    »Wozu hat man die Liebe seines Lebens, wenn sie nicht immer bei einem ist?«, fragte mich mein Vater.
    Dazu fiel mir nichts ein; es hatte mir die Sprache verschlagen.
    »Sei nett, Franny«, bat ihn Señor Bovary.
    »Frauen machen Folgendes, William – jedenfalls die in kleinen
Städten«, sagte mein Vater. »Sie suchen sich etwas, was sie an einem mögen,
auch wenn es nur eins gibt, was sie liebenswert finden. Deine Mutter,
beispielsweise, hat mich gern verkleidet – und das gefiel mir auch.«
    »Vielleicht später, Franny – vielleicht
sagst du das dem jungen William, nachdem ihr
Gelegenheit hattet, euch kennenzulernen«, schlug Mr. Bovary vor.
    [694]  »Dazu ist es inzwischen zu spät. Diese Gelegenheit wurde dem
jungen William und mir verwehrt. Jetzt sind wir nun mal die, die wir sind,
nicht wahr, William?«, fragte mich mein Dad. Wieder hatte es mir die Sprache
verschlagen.
    »Seidoch bitte nett, Franny«, forderte
Bovary ihn auf.
    »Frauen, wie ich bereits sagte, machen Folgendes«, fuhr mein Vater
fort. »Was sie an einem gar nicht toll finden – was
sie nicht mal mögen  –, tja, rat mal, was Frauen deswegen unternehmen? Sie stellen sich vor, dass sie diese
Dinge ändern können – das machen Frauen! Sie stellen sich vor, dass sie dich ändern können«, schloss mein
Vater.
    »Du hast eine junge Frau gekannt, Franny, una mujer difícil  –«, begann Mr. Bovary.
    »Wer ist jetzt nicht nett?«, unterbrach ihn
mein Dad.
    »Ich habe auch einige Männer gekannt, die
mich ändern wollten«, sagte ich zu meinem Vater.
    »Ich kann nicht mit allen konkurrieren, die du gekannt hast, William – ich könnte unmöglich behaupten, so viele Erfahrungen
gesammelt zu haben wie du«, sagte mein Dad. Mich überraschte, dass er so
selbstgefällig war.
    »Früher habe ich mich gefragt, warum ich so war, wie ich war – woher
ich kam«, sagte ich ihm. »Woher das in mir stammte, was ich nicht verstand –
vor allem das, weswegen ich unsicher war und was ich in
Frage stellte. Du weißt schon, was ich meine. Wie viel von mir stammte
von meiner Mutter? Ich fand nur sehr wenig, was ich von ihr hatte. Und wie viel
von mir stammte von dir? Es gab eine Zeit, da hab ich pausenlos nur darüber
nachgedacht.«
    »Wir haben gehört, dass du irgendeinen Jungen verprügelt hast«,
sagte mein Vater.
    [695]  »Erwähn das später, Franny«, bat ihn
Mr. Bovary.
    »Du hast in der Schule einen jungen Burschen verprügelt – erst
kürzlich, stimmt’s?«, fragte mein Dad. »Bob hat es mir erzählt. Tennisarm-Bob
war deswegen ziemlich stolz auf dich, aber ich fand es beunruhigend. Gewalt und Aggression hast du
nicht von mir geerbt. Ich frage mich, ob deine Wut nicht von diesen Winthrop-Frauen stammt.«
    »Der Bursche war riesengroß «, sagte ich.
»Er war neunzehn, ein Footballspieler – ein verdammter Rüpel und Mobber.«
    Doch mein Vater und Señor Bovary schienen sich für mich zu schämen.
Ich war kurz davor, ihnen zu erklären, wer Gee war – ein vierzehnjähriger
Junge, der gerade dabei war, ein Mädchen zu werden, und dass der
neunzehnjährige Schlägertyp sie ins Gesicht geschlagen und ihr eine blutige
Nase verpasst hatte –, als mir plötzlich klarwurde, dass ich diesen
missbilligenden alten Tunten keinerlei Erklärung schuldete. Der Footballspieler
war mir scheißegal.
    »Er hat mich Schwuchtel genannt«, sagte
ich ihnen. Darüber würden sie doch bestimmt die Nase rümpfen.
    »Oh, hast du das gehört?«, fragte mein Dad die Liebe seines Lebens.
»Doch nicht Schwuchtel ! Kannst du
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