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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad
Autoren: Stephen King
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ihr, während in den schräg einfallenden Strahlen der Oktobersonne um ihn herum gelbe und goldfarbene Blätter herabsegelten.
    Sein Weg führte ihn über den zwei Blocks langen Abschnitt der Main Street gegenüber dem Stadtpark, und an dem Tag, an dem er sah, daß auf dem Schild die Gala-Eröffnung angekündigt war, hatte er die Nase am Glas der Tür plattgedrückt, weil er zu sehen hoffte, was an die Stelle der langweiligen Schreibtische und der fadgelb gestrichenen Wände der ausgezogenen Western Maine Realty and Insurance getreten war. Aber seine Neugier blieb unbefriedigt. Eine Jalousie war angebracht und vollständig heruntergezogen worden. Brian sah nichts als das Spiegelbild seines eigenen Gesichts und seiner abschirmenden Hände.
    Am Freitag, dem 4. Oktober, war in Castle Rocks Wochenzeitung, dem Call, eine Anzeige für den neuen Laden erschienen. Die Anzeige war von einer Wellenlinie umrandet, und unter dem gedruckten Text befand sich eine Zeichnung von Engeln, die Rücken an Rücken dastanden und lange Trompeten bliesen. Vom Zeitpunkt der Eröffnung, 10 Uhr, einmal abgesehen, erfuhr man aus der Anzeige nichts, was man nicht auch auf dem Schild lesen konnte, das an dem Saugnapf aufgehängt war: der Name des Ladens war Needful Things, er würde am 9. Oktober um 10 Uhr eröffnet werden, und natürlich »Sie werden Ihren Augen nicht trauen.« Es gab nicht den geringsten Hinweis darauf, welche Art von Waren der oder die Besitzer von Needful Things zu verkaufen gedachten.
    Dies schien Cora Rusk erheblich zu irritieren – zumindest so stark, daß sie eines ihrer seltenen Samstagmorgen-Gespräche mit Myra führte.
    »Ich werde meinen Augen bestimmt trauen«, erklärte sie. »Wenn ich diese gedrechselten Betten sehe, die angeblich zweihundert Jahre alt sind, aber bei denen Rochester, New York, auf den Rahmen gestempelt ist, was jeder sehen kann, der sich die Mühe macht, sich zu bücken und unter den Volant der Tagesdecke zu schauen, dann traue ich meinen Augen voll und ganz.«
    Myra erwiderte etwas, Cora hörte zu, fischte Planters Peanuts aus der Dose, jeweils eine oder zwei auf einmal, und stopfte sie sich in den Mund. Brian und sein kleiner Bruder Sean saßen im Wohnzimmer auf dem Fußboden und sahen sich im Fernsehen Zeichentrickfilme an. Sean war völlig versunken in die Welt der Schlümpfe, aber Brian hatte sich dieser Gesellschaft kleiner blauer Leute nicht völlig hingegeben, sondern lauschte mit einem Ohr der Unterhaltung.
    »So ist es!« hatte Cora Rusk noch selbstsicherer und mit noch mehr Nachdruck als üblich erklärt, nachdem Myra eine besonders bissige Bemerkung gemacht hatte. »Hohe Preise und schimmlige alte Telefone!«
    Gestern, am Montag, war Brian nach der Schule mit zwei oder drei Freunden durch das Geschäftsviertel gefahren. Sie fuhren auf die dem neuen Laden gegenüberliegende Straßenseite, und er sah, daß im Laufe des Tages irgendwer eine dunkelgrüne Markise angebracht hatte. Die Vorderfront trug in weißen Buchstaben die Aufschrift NEEDFUL THINGS. Polly Chalmers., die Dame, der die Schneiderei gehörte, stand auf dem Gehsteig, die Hände auf die bewundernswert schmalen Hüften gestemmt, und betrachtete die Markise mit einem Ausdruck, in dem sich Verblüffung und Bewunderung abzuwechseln schienen.
    Brian, der einiges über Markisen wußte, bewunderte sie selbst. Es war die einzige richtige Markise in der ganzen Main Street, und sie verlieh dem neuen Laden ein ganz besonders Aussehen. Das Wort »exquisit« gehörte zwar nicht zu seinem Alltagsvokabular, aber er wußte sofort, daß es in Castle Rock keinen zweiten Laden gab, der so aussah wie dieser. Durch die Markise sah er aus wie ein Laden, wie man ihn vielleicht in einer Fernsehshow sah. Im Vergleich dazu wirkte Western Auto auf der anderen Straßenseite schäbig und hinterwäldlerisch.
    Als er nach Hause kam, lag seine Mutter auf dem Sofa, sah Santa Barbara, aß einen Little Debbie Creme Pie und trank Diätcola. Seine Mutter trank immer Diätcola, wenn sie sich die Nachmittagsserien anschaute. Weshalb sie das tat, wußte Brian nicht so recht, angesichts dessen, was sie damit hinunterspülte, aber er hielt es für zu gefährlich, sie danach zu fragen. Das konnte sie veranlassen, ungehalten zu werden, und wenn seine Mutter ungehalten wurde, tat man gut daran, in Deckung zu gehen.
    »Hey, Ma!« sagte er, warf seine Bücher auf den Tresen und holte die Milch aus dem Kühlschrank. »Weißt du schon? Der neue Laden hat jetzt eine
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