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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad
Autoren: Stephen King
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»Okay?«
    Norris schien es nicht gehört zu haben.
    Alan hatte das Blut gefühlt, das das Hemd seines First Deputy durchtränkte. »Wie schwer sind Sie verletzt?«
    »Nicht allzu schwer. Zumindest glaube ich es. Aber dies«, – er schwenkte, alle Brände und alle Trümmer mit einbeziehend, die Hand über die Stadt – »all dies ist meine Schuld. Meine!«
    »Das stimmt nicht«, sagte Polly.
    »Das verstehen Sie nicht.« Norris’ Gesicht war vor Kummer und Scham verzerrt. »Ich war es, der Hugh Priests Reifen zerstochen hat! Ich habe ihn aufgehetzt!«
    »Ja«, sagte Polly, »das haben Sie vermutlich getan. Damit werden Sie leben müssen. Genau so, wie ich diejenige bin, die Ace Merrill aufgehetzt hat. Und damit muß ich leben.« Sie deutete in die Richtung, in der die Katholiken und die Baptisten in unterschiedliche Richtungen davonstrebten, unbehindert von einigen benommenen Polizisten, die nach wie vor dort herumstanden. Etliche der Glaubenskrieger gingen allein, andere in Gruppen. Father Brigham schien Rev. Rose zu stützen, und Nan Roberts hatte einen Arm um Henry Paytons Taille gelegt. »Aber wer hat sie aufgehetzt, Norris? Und Wilma? Und Nettie? Und all die anderen? Wenn Sie das alles ganz allein getan haben, dann müssen Sie geschuftet haben wie ein Besessener.«
    Norris brach in ein lautes, gequältes Schluchzen aus. »Es tut mir ja so leid.«
    »Mir auch«, sagte Polly leise. »Es hat mir das Herz gebrochen.«
    Alan schloß Norris und Polly kurz in die Arme, dann lehnte er sich durch das Beifahrerfenster des Streifenwagens. »Und wie geht es Ihnen, Seat?«
    »Ganz gut«, sagte Seat. Er machte in der Tat einen durchaus munteren Eindruck. Verwirrt, aber munter. » Ihr seht wesentlich mitgenommener aus, als ich mich fühle.«
    »Ich glaube, wir sollten Norris ins Krankenhaus bringen, Seat. Wenn Sie genügend Platz haben, können wir alle mitfahren.«
    »Platz ist reichlich vorhanden. Steigen Sie ein! Welches Krankenhaus?«
    »Northern Cumberland«, sagte Alan. »Dort liegt ein kleiner Junge, den ich besuchen möchte. Ich muß mich vergewissern, ob sein Vater bei ihm ist.«
    »Alan, haben Sie gesehen, was ich zu sehen glaubte? Hat sich das Auto dieses Kerls tatsächlich in eine Kutsche verwandelt und ist durch die Luft davongeflogen?«
    »Ich weiß es nicht, Seat«, sagte Alan, »und ich schwöre bei Gott, daß ich es auch nie wissen möchte.«
    Henry Payton war gerade eingetroffen, und jetzt tippte er Alan auf die Schulter. Seine Augen waren leer und geschockt. Er hatte das Aussehen eines Mannes, der seine Lebensweise, seine Denkweise oder beides bald von Grund auf ändern wird. »Was ist passiert, Alan?« fragte er. »Was ist in dieser gottverdammten Stadt wirklich passiert?«
    Es war Polly, die ihm antwortete.
    »Es hat einen Ausverkauf gegeben. Den größten Total-Ausverkauf, den Sie je erlebt haben – aber letzten Endes haben einige von uns beschlossen, nichts zu kaufen.«
    Alan hatte die Tür geöffnet und Norris auf den Beifahrersitz geholfen. Jetzt berührte er Pollys Schulter. »Komm«, sagte er. »Wir wollen fahren. Norris hat Schmerzen, und er hat sehr viel Blut verloren.«
    »Hey«, sagte Henry. »Ich habe Unmengen von Fragen, und...«
    »Heben Sie sie auf.« Alan stieg neben Polly ein und schloß die Tür. »Morgen können wir reden, aber jetzt bin ich nicht mehr im Dienst. Ich glaube sogar, mein Dienst in dieser Stadt ist ein für allemal zu Ende. Begnügen Sie sich damit – es ist vorbei. Was immer in Castle Rock passiert ist – es ist vorbei.«
    »Aber...«
    Alan beugte sich vor und tippte Seat auf die knochige Schulter. »Fahren Sie los«, sagte er ruhig. »Und schonen Sie die Pferde nicht.«
    Seat begann zu fahren, die Main Street hinauf, in Richtung Norden. An der Abzweigung bog der Streifenwagen nach links ab und fuhr den Castle Hill hinauf auf Castle View zu. Als sie sich der Kuppe näherten, drehten sich Alan und Polly gemeinsam um, um noch einen Blick auf die Stadt zu werfen, in der Brände glühten wie Rubine. Alan empfand Trauer, Verlust und den seltsamen Kummer des Betrogenseins.
    Meine Stadt, dachte er. Das war meine Stadt. Aber sie ist es nicht mehr. Wird es nie wieder sein.
    Sie drehten im gleichen Augenblick die Köpfe, um wieder nach vorn zu blicken, und es endete damit, daß sie einander in die Augen schauten.
    »Du wirst es nie erfahren«, sagte sie leise. »Was Annie und Todd damals wirklich widerfahren ist – du wirst es nie erfahren.«
    »Und ich will es auch nicht
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