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In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition)
Autoren: Jo Walton
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Inzwischen kann ich auch viel besser stehen. Ich werde wieder gesund, ganz gleich, was die Ärzte sagen. Manchmal sehne ich mich so sehr danach zu rennen, dass mir alles wehtut, nicht nur das Bein.
    Ich wandte mich um und betrachtete den Kamin – irgendwie musste ich mich ja ablenken. Er war aus Marmor, mit zahlreichen Ornamenten geschmückt, und einige herbstliche Birkenzweige waren kunstvoll darin arrangiert. Alles war sehr sauber, aber nicht besonders gemütlich. »Deine Uniformen besorgen wir dir gleich heute in Shrewsbury, und morgen fahren wir dich hin«, sagten sie. Morgen. Sie konnten es wirklich nicht erwarten, mich loszuwerden, mich und meinen hässlichen walisischen Akzent und mein Hinken. Schlimm genug, dass es mich überhaupt gab! Ich wollte auch ganz bestimmt nicht hier sein. Das Problem ist nur, dass ich nirgendwo anders hin kann. Bevor du sechzehn bist, erlauben sie dir nicht, alleine zu wohnen. Das habe ich im Heim herausgefunden. Außerdem ist er wirklich mein Vater, obwohl ich ihn noch nie zuvor gesehen habe. Und in gewisser Hinsicht sind diese Frauen auch meine Tanten. Wenn ich daran denke, fühle ich mich gleich noch viel einsamer. Ich bin so weit weg von zu Hause, und ich vermisse meine richtige Familie – meine Familie, die mich im Stich gelassen hat.
    Und dann sind wir einkaufen gegangen, den lieben langen Tag. Die drei Tanten und ich, aber ohne meinen Vater. Ich wusste nicht, ob ich deswegen froh oder traurig sein sollte. Die Arlinghurst-Uniform musste man in einem speziellen Laden kaufen, wie damals meine Uniform fürs Gymnasium. Was waren wir stolz gewesen, als wir die Aufnahmeprüfung bestanden. »Die Elite der Valleys« haben sie uns genannt. Das ist jetzt alles vorbei, und stattdessen werde ich gezwungen, auf dieses piekfeine Internat zu gehen, wo sie die merkwürdigsten Dinge von einem verlangen. Eine der Tanten hatte eine Liste dabei, und wir kauften alles, was darauf stand. Am Geld sparten sie jedenfalls nicht. So viel hatte noch nie jemand für mich ausgegeben. Schade, dass alles so scheußlich ist. Auch jede Menge Sportausrüstung war dabei. Ich wies sie nicht darauf hin, dass ich davon so bald nichts anziehen würde. Wenn überhaupt. Diesen Gedanken verdrängte ich lieber. Wir waren meine ganze Kindheit hindurch gerannt. Wir hatten Wettläufe gewonnen. In der Schule waren wir meistens gegeneinander angetreten und hatten das übrige Feld weit hinter uns gelassen. Opa hatte von den Olympischen Spielen gesprochen, und auch wenn er nur geträumt hatte, hatte er sie doch immerhin erwähnt. Bei den Olympischen Spielen seien noch nie Zwillinge angetreten, hatte er gesagt.
    Als die Schuhe an der Reihe waren, gab es ein Problem. Ich ließ sie Hockeyschuhe und Laufschuhe und Turnschuhe kaufen, denn die konnte ich anziehen oder auch nicht. Aber als die Uniformschuhe an der Reihe waren, für den Alltag, musste ich sie bremsen. »Ich habe spezielle Schuhe«, erklärte ich, ohne sie anzuschauen. »Mit Spezialsohlen. Sie müssen extra angefertigt werden, von einem Orthopädisten. Ich kann sie nicht einfach kaufen.«
    Die Verkäuferin bestätigte, dass wir solche Schuhe nicht einfach passend zur Uniform kaufen konnten. Sie hielt einen der Schulschuhe in die Höhe. Er war hässlich und unterschied sich nicht allzu sehr von den klumpigen Schuhen, die ich trage. »Könntest du in diesen hier laufen?«, fragte mich eine der Tanten.
    Ich nahm den Schuh in die Hand und betrachtete ihn eingehend. »Nein«, erwiderte ich dann und drehte ihn um. »Er hat einen Absatz.« Dagegen ließ sich nichts einwenden, auch wenn die Schule wahrscheinlich nicht glaubt, dass ein Mädchen, das etwas auf sich hält, einen Schuh mit einem niedrigeren Absatz tragen würde.
    Es war nicht ihre Absicht, mich vollends zu demütigen, während sie sich wie die Glucken über die Schuhe und über mich und meine maßgefertigten Schuhsohlen beugten. Das musste ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufen, während ich wie ein Klotz dastand, ein gequältes Lächeln auf den Lippen. Sie hätten mich gerne gefragt, was mit meinem Bein nicht in Ordnung war, aber ich schaute sie stur an, und sie trauten sich nicht. Das munterte mich wieder ein wenig auf. Schließlich beließen sie es dabei und erklärten, dass die Schule das wohl oder übel würde verstehen müssen. »Meine Schuhe sind ja auch nicht gerade rot und glamourös«, sagte ich.
    Das war ein Fehler, denn daraufhin starrten sie alle meine Schuhe an. Es sind Krüppelschuhe. Bei
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