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In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition)
Autoren: Jo Walton
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Krieg hat mein Vater den Dienst bei der RAF quittiert und in einer Fabrik in Ironbridge gearbeitet. Bartleby hat sein Geld und sein Haus meinen Schwestern hinterlassen. Als ich dreizehn war, kam meine Mutter bei einem Unfall ums Leben. Meine Schwestern, die bereits erwachsen waren, kamen zu ihrer Beerdigung. Anthea machte den Vorschlag, die Kosten für meine Ausbildung zu übernehmen, und mein Vater willigte ein. Seither unterstützen sie mich. Wie du weißt, habe ich geheiratet, während ich noch auf der Universität war.«
    »Was ist mit Bartleby?«, fragte ich. Er konnte nicht viel älter als mein Großvater gewesen sein.
    »Er hat sich erschossen, als seine Töchter einundzwanzig wurden«, sagte er in einem Tonfall, der keine weiteren Fragen zuließ.
    »Und was ... was machst du?«
    »Sie haben den Schlüssel zur Kasse, aber ich verwalte den Nachlass.« Er ließ die Zigarettenkippe in den Aschenbecher fallen, der bereits überquoll. »Sie zahlen mir ein Gehalt, und ich wohne im Haus. Alles sehr viktorianisch.«
    »Wohnst du schon dort, seit du weggelaufen bist?«
    »Ja.«
    »Aber sie haben gesagt, sie wüssten nicht, wo du bist! Mein Großvater ist zu ihnen gefahren, den ganzen weiten Weg, und hat mit ihnen gesprochen.« Ich war empört.
    »Sie haben gelogen.« Er hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. »War es schlimm für dich, dass ich weggelaufen bin?«
    »Ich bin auch vor ihr davongelaufen«, entgegnete ich, was keine Antwort auf seine Frage war, aber hinreichend zu sein schien.
    »Ich wusste, dass eure Großeltern sich um euch kümmern würden.«
    »Das haben sie. Deswegen hättest du dir keine Sorgen machen müssen.«
    »Ah«, sagte er.
    In dem Moment begriff ich, dass meine Anwesenheit in seinem Wagen ein einziger großer Vorwurf war. Zum einen war ich alleine gekommen, dabei hatte er Zwillinge im Stich gelassen. Zum anderen war ich verkrüppelt. Außerdem war ich hier, weil ich von Zuhause fortgerannt war. Ich hatte ihn um Hilfe bitten müssen – und was noch schlimmer war, ich hatte mich an den Sozialdienst wenden müssen, um ihn ausfindig zu machen. Ganz offensichtlich waren die Vorkehrungen, die er für uns getroffen hatte, alles andere als ausreichend gewesen. Dass ich jetzt, in diesem Moment hier war, führte ihm vor Augen, was für ein miserabler Vater er war. Was ehrlich gesagt auch der Wahrheit entsprach. Meine Mutter mochte sein, wie sie war, aber man ließ einfach keine Kleinkinder im Stich – und schon gar nicht, wenn das bedeutete, dass sie dann ganz allein ihr ausgeliefert waren. Das war der Gipfel der Unverantwortlichkeit. Aber schließlich bin ich auch vor ihr weggelaufen.
    »Anders hätte ich nicht aufwachsen wollen«, sagte ich. Meine Großeltern. Die Valleys. Meine Heimat. »Wirklich. Es war toll. Eine bessere Kindheit hätte ich gar nicht haben können.«
    »Ich werde dich bald einmal zu meinem Vater mitnehmen. Vielleicht im Frühjahr.« Er setzte den Blinker, und wir bogen zwischen zwei sterbenden Ulmen hindurch in eine Einfahrt. Kies knirschte unter den Reifen. Wir waren in Arlinghurst angekommen.
    Als Allererstes kam es zu einer Auseinandersetzung wegen des Chemieunterrichts. Arlinghurst ist in einem großen, eleganten Gebäude untergebracht, auf einem äußerst imposanten viktorianischen Anwesen. Aber es roch überall nach Schule – Kreide, gekochter Kohl, Desinfektionsmittel, Schweiß. Die Schulleiterin war höflich und kühl. Sie gestattete meinem Vater nicht zu rauchen, womit sie ihn gleich auf dem falschen Fuß erwischte. Ihre Stühle sind zu niedrig. Ich hatte Schwierigkeiten, von meinem aufzustehen. Aber all das hätte keine Rolle gespielt, wäre da nicht der Stundenplan gewesen, den sie mir überreichte. Erstens, jeden Tag drei Stunden Sport. Zweitens, Kunst und Religion sind Pflicht. Drittens, ich muss mich zwischen Chemie und Französisch oder Latein und Biologie entscheiden.
    In Piraten im Weltraum schreibt Robert Heinlein, dass nur Geschichte, Sprachen und Naturwissenschaften es wert sind, studiert zu werden. Genau genommen fügt er noch Mathematik hinzu, doch bei mir haben sie den Teil des Gehirns, der dafür zuständig ist, weggelassen. Mor war in Mathe spitze. Aber ansonsten war es bei uns beiden dasselbe: Entweder begriffen wir etwas augenblicklich, oder sie hätten uns ebenso gut ein Loch in den Kopf bohren können, um etwas hineinzustopfen. »Wie ist es möglich, dass du boolesche Algebra verstehst, aber noch immer Probleme mit der schriftlichen Division
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