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In der Südsee. Zweiter Band

Titel: In der Südsee. Zweiter Band
Autoren: Robert Louis Stevenson
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laut wie von einer Lokomotive. Der skeptische Leser wird hierin nur die Anzeichen des wütenden Sturmes erkennen, die Frauen jedoch glaubten, alles wäre verloren und saßen wehklagend aneinandergedrängt auf den Betten. Nichts weiter geschah, und ich nehme an, daß das Unwetter allmählich nachließ, denn nach einer Weilekam ein Häuptling zu Besuch. Er war ein kühner Mann, daß er so spät noch auf den Beinen, war und trug zweifellos eine helle Laterne. Jedenfalls war er ein weiser Mann, denn kaum hatte er die Einzelheiten dieser Störungen gehört, als er sie auch schon erklärte. »Dein Kind«, sagte er, »wird sicherlich sterben. Das ist der böse Geist unserer Insel, der auf der Lauer liegt, um die Geister der soeben Verstorbenen zu verschlingen.« Und dann fuhr er fort, sich über das seltsame Benehmen des Geistes zu wundern. Gewöhnlich, meinte er, wäre er gar nicht so offen in seinen Angriffen, meist säße er stumm auf dem Dache auf der Lauer, und zwar in Gestalt eines Vogels, während die Insassen, ohne an irgend eine Gefahr zu denken, die Sterbenden pflegten oder die Toten beweinten. Wenn dann aber der Tag graute, die Türen geöffnet würden und die Menschen ausgingen, verrieten Blutflecke an der Wand die schreckliche Tragödie.
    Hier findet sich das wieder, was ich an den paumotischen Sagen bewundere. Auf Tahiti soll der Seelenfresser eine Erscheinungsform wählen, die zwar viel pompöser, aber weit weniger grausig ist. Menschen jeder Art und jedes Standes, Eingeborene wie Ausländer, haben ihn gesehen; nur behaupten die letzteren, daß er ein Meteor sei. Mein Gewährsmann war dessen aber nicht ganz so sicher. Einst war er mit seiner Frau um zwei Uhr morgens auf einem Ritt unterwegs; beide kämpften gegen den Schlaf an, und den Pferden ging es auch nicht viel besser. Es war eine strahlend helle, stille Nacht, und der Weg führte sie über den Berg dicht an einem verödeten Marae (altentahitischen Tempel) vorbei. Plötzlich zog die Erscheinung in Form eines gewissen Lichts mit rundem, grünlich schimmerndem Kopf, langem roten Schweif und einem Brennpunkt von noch tieferer Röte in seinem Inneren über ihre Köpfe hinweg. Ein surrendes Geräusch begleitete dies Fliegen, und die Erscheinung bewegte sich direkt von dem einen Marae auf einen anderen tiefer am Berge gelegenen zu. Das aber, behauptete mein Gewährsmann, sei überaus vielsagend. Denn weshalb sollte ein bloßer Meteor die Altäre der verruchten Götter heimsuchen? Ich muß noch hinzufügen, daß die Pferde nicht weniger erschrocken waren als die Reiter. Ich dagegen bin nicht im geringsten, nicht einmal angenehm erschreckt. Da ziehe ich schon den Vogel aus dem Dachfirst und die morgendlichen Blutspritzer an der Wand vor.
    Die Toten sind in ihrer Nahrung durchaus nicht wählerisch. Insbesondere nehmen sie ins Grab die polynesische Vorliebe für Fische mit, und manchmal lassen sie sich sogar mit den Lebenden auf eine Partnerschaft im Fischen ein. Rua-a-mariterangi ist hier wiederum mein Gewährsmann; ich fühle zwar, daß dies das Gewicht der von mir zu schildernden Tatsachen vermindert, wie wundervoll baut diese Geschichte indes die Gestalt jenes unverbesserlichen alten Geistersehers auf! Rua gehört zu der jämmerlich armen Insel Taenga, trotzdem war seines Vaters Haus stets reichlich mit Fischen versorgt. Als Rua erwachsen war, wurde er endlich aufgefordert, mit seinem Glückspilz von Vater fischen zu gehen. So ruderten sie denn in der Abenddämmerung an eine abgelegene Stelle der Lagune,der Junge streckte sich am Heck aus und der Vater begann vor seinen Augen die Angelschnur auszuwerfen. Es ist anzunehmen, daß Rua jetzt einschlief. Jedenfalls saß, als er erwachte, eine fremde Gestalt neben seinem Vater, und sein Vater war dabei, so schnell er nur konnte Fische über Fische an Bord zu ziehen. »Wer ist jener Mann, Vater?« fragte Rua. »Das geht dich nichts an«, antwortete sein Vater, und Rua nahm an, der Fremde wäre vom Ufer her zu ihnen herübergeschwommen. Nacht für Nacht fuhren sie nun auf die Lagune zu den einsamsten Stellen hinaus; Nacht für Nacht tauchte der Fremde plötzlich unter ihnen auf, um ebenso plötzlich wieder zu verschwinden, und Morgen für Morgen kam das Kanoe mit Fischen beladen heim. »Mein Vater ist wirklich ein Glückspilz«, dachte Rua. Endlich, eines schönen Tages, erhielten sie Besuch von einer, dann einer zweiten Schiffsgesellschaft, die bewirtet werden mußten; Vater und Sohn brachen später als gewöhnlich
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