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In der Südsee. Zweiter Band

Titel: In der Südsee. Zweiter Band
Autoren: Robert Louis Stevenson
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Schrecken der Unwissenden zum Ausdruck bringt.
    Der Glaube an die exorzierende Kraft der Grabriten erklärt vielleicht die an sich sonst erstaunliche Tatsache, daß kein Polynesier das Grauen des Europäers vor menschlichem Gebein und Mumien teilt. Aus dem einen stellte er früher die geschätztesten Schmuckstücke her; man pflegte es in den Häusern oder in Gräberhöhlen aufzubewahren, ja, die Wächter des königlichen Grabes wohnten mit ihren Kindern unter den Gebeinen zahlreicher Generationen von Verstorbenen. Die Mumien wurden selbst während der Herstellung ebensowenig gefürchtet. Auf den Marquesas, in den Siedlungen unmittelbar an der Küste, wurden sie von den Mitgliedern des Haushaltes eigenhändig wiederholt geölt und dem Sonnenlicht ausgesetzt, um sie herzurichten; auf den Karolinen werden sie auch heute noch in dem Rauchfang des Familienherdes konserviert. Außerdem ist die Kopfjägerei noch hart an der Türschwelle meines Hauses auf Samoa zu Hause, und zehn Jahre ist es her,daß auf den Gilbertinseln die Witwe verpflichtet war, den Schädel ihres toten Gatten eigenhändig auszugraben, zu reinigen, zu polieren und dann Tag und Nacht mit sich herumzutragen. In allen diesen Fällen können wir annehmen, daß der Vorgang, entweder des Trocknens oder des Reinigens, den Aitu völlig exorziert.
    Der paumotische Glaube ist jedoch weniger klar. Hier wird der Mann ordnungsgemäß begraben und muß von nun an bewacht werden. Er wird auch bewacht, trotzalledem geht sein Geist um. In der Tat ist es nicht der Zweck dieser Wachen, derartige Wanderungen zu verhüten; sie sollen vielmehr durch höfliche Aufmerksamkeit die inhärente Bosheit des Toten besänftigen. Vernachlässigung kann – so nimmt man an – ihn ärgern und seine Verfolgungen heraufbeschwören, daher wägen die Alten und Schwachen das Risiko mitunter ab und ziehen es vor, zu Hause zu bleiben. Man vergesse nicht, daß es des Toten eigene Sippe und nächste Freunde sind, die so seinen bösen Willen durch ihre Nachtwachen milde stimmen. Selbst diese beschwichtigende Zeremonie gilt als gefährlich, es sei denn, daß zahlreiche Personen daran teilnehmen; in Rotoava wurde mir eines Tages ein Junge eigens deshalb vorgeführt, weil er ganz allein neben seines Vaters Grab gewacht hatte. Weder die verwandtschaftlichen Bindungen des Toten noch sein im Leben bewiesener Charakter vermögen den Ausgang zu beeinflussen. Einer der verflossenen Gouverneure, der auf Fakarava an den Folgen eines Sonnenstichs starb, war zu seinen Lebzeiten sehr beliebt und steht auch heute noch im liebevollen Andenken der Leute, trotzdem geht sein Geist, mitallen Schrecken des Todes bekleidet, auf der Insel um, so daß die Nachbarschaft des Regierungssitzes in der Dunkelheit ängstlich gemieden wird. Ja, diese heitere Lehre läßt sich wie folgt zusammenfassen: Alle Menschen werden Vampyre, und die Vampyre verschonen niemanden. Aber hier stehen wir plötzlich einer gewinnenden Ausnahme gegenüber: die Geister der Pfeifer sind ausgesprochene Stammesgeister. Wenn ich mich nicht irre, umgeben und unterrichten sie einzig ihre Stammesverwandten, und das Medium ist stets von dem Geschlecht des sich mitteilenden Geistes. So sehen wir denn einerseits die Bande der Familie mit dem Tode abgeschnitten, andererseits aber auch in hilfreicher Weise über ihn hinaus weiterbestehen.
    Nach der tahitischen Sage war die Seele des Kindes in Blätter eingepackt. Die Geister der Frischverstorbenen gelten nämlich als besondere Delikatesse. Wenn sie getötet werden, wird das Haus mit Blut bespritzt. Ruas toter Fischer befand sich in der Auflösung; zersetzt – und zwar in furchtbarer Weise zersetzt – war auch sein Baumgeist. Die Geister sind also materielle Wesen, und nur durch die materiellen Anzeichen der Verwesung unterscheiden sie sich von den lebenden Menschen. Diese so weit verbreitete Ansicht gesellt dem stark Grausigen, das in den widerwärtigsten polynesischen Sagen zum Ausdruck gelangt, noch einen besonders abstoßenden Zug hinzu, den manchmal auch die liebenswürdigsten Einzelheiten nicht zu mildern vermögen. Ich führe zu diesem Zweck zwei ziemlich weit auseinanderliegende Beispiele aus Tahiti und Samoa an.
    Zuerst das tahitische. Ein Mann ging einst auf Besuch zu dem Gatten seiner Schwester, die schon seit längerer Zeit verstorben war. Zu ihren Lebzeiten war die Schwester nach Inselart stets zierlich gekleidet gegangen mit einem Blumenkranze auf dem Kopf. Mitten in der Nacht wachte nun der
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