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In der Südsee. Zweiter Band

Titel: In der Südsee. Zweiter Band
Autoren: Robert Louis Stevenson
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setzte. »Falls Sie mal an irgendeinem Abend so gegen neun Uhr da vorbeikommen wollen, können Sie sich selbst davon überzeugen«, erwiderte ich. Er wich einen Schritt zurück. »Ein Gespenst!« schrie er.
    Kurz und gut, in der ganzen Südsee hat keiner das Recht, dem anderen Vorwürfe zu machen. Ob Halbblut oder ganz schwarz, ob fromm oder lasterhaft, intelligent oder dumm, alle glauben an Geister, alle verbinden mit ihrem jungen Christentum die Furcht vor den alten Inselgottheiten und den zähen Glauben an sie. So sind auch in Europa die Götter des Olymps allmählich zu Dorfpopanzen zusammengeschrumpft; so stiehlt sich auch heute noch der kirchengläubige Hochländer vor den Augen des Geistlichen hinweg, um an irgendeinem heiligen Brunnen sein Opfer niederzulegen.
    Ich suche den ganzen Fragenkomplex an dieser Stelle zu behandeln, weil der paumotische Aberglaube von ganz besonderer Art ist. Allerdings lernte ich ihn auch durch einen Menschen kennen, der ein ausgesprochenes Talent für derartige Geschichten besitzt. Abends, eng um unsere Lampe geschart, das Geräusch der Brandung in unseren Ohren, hingen wir aufgeregt an seinen Lippen. Meine Leser, in einer so ganz anderen Umgebung,müssen scharf aufpassen, um ein leises Echo hiervon zu vernehmen.
    Der ganze Kreis unheimlicher Geschichten entsprang dem Begräbnis und der egoistischen Beschwörung jener Frau. Ich war unbefriedigt von dem, was man mir gesagt hatte, kam immer wieder auf diese Fragen zu sprechen und stieß endlich auf eine ergiebige Ader. Von Sonnenuntergang bis etwa vier Uhr morgens müssen die Verwandten des Toten auf dem Grabe Wache halten, denn dies sind die Stunden, in denen der Geist umgeht. Jederzeit in der Nacht – früher oder später – kann man in der Erde ein Geräusch hören, das das Zeichen seiner Befreiung ist; pünktlich um vier Uhr folgt ein zweites Geräusch, das seine Rückkehr in die Gefangenschaft ankündigt, dazwischen treibt der Geist sein Unwesen. »Haben Sie je einen bösen Geist gesehen?« fragte ich einmal einen Paumoten. »Ein einziges Mal.« »In welcher Gestalt?« »In der Gestalt eines Kranichs.« »Und woher wußten Sie, daß der Kranich ein Geist war?« »Das werde ich Ihnen sagen«, erwiderte er, und erzählte folgende konfuse Geschichte. Sein Vater war vor etwa vierzehn Tagen gestorben, die anderen hatten das Wachen satt bekommen und als die Sonne unterging, befand er sich allein auf dem Grabe. Noch war es nicht dunkel, der Widerschein spendete noch etwas Helle, da bemerkte er auf einer Korallenbank einen schneeweißen Kranich. Allmählich kamen immer mehr Kraniche dazu, weiße und schwarze, dann verschwanden sie wieder und an ihrer Stelle sah er eine weiße Katze. Zu dieser Katze gesellte sich eine ungeheure Menge Katzen von jeder nurmöglichen Farbe, bis auch diese verschwanden, und er verwundert zurückblieb.
    Das war eine tröstliche Erscheinung. Nehmen wir statt dessen das Erlebnis Rua-a-mariterangis von der Insel Katiu. Rua brauchte einige Pandanen und ging auf die andere Seite der Insel, an den Meeresstrand, wo sie in Mengen wachsen. Der Tag war windstill, daher wunderte sich Rua, im Busch ein krachendes Geräusch und den Fall eines großen Baumes zu hören. Hier muß einer am Werke sein, sich ein Kanoe zu bauen, dachte er, und er betrat den Saum des Waldes, um mit seinem zufälligen Nachbarn einen kleinen Schwatz zu halten. Das Krachen klang immer näher, und dann merkte er, wie etwas aus den Baumwipfeln rasch auf ihn zu kam. Das Etwas baumelte mit dem Kopf nach unten und hielt sich wie ein Affe mit den Zehen fest, so daß seine Hände für jede Mordtat frei waren; es hing auch an den dünnsten Zweigen noch sicher, die Schnelligkeit mit der es sich näherte, war kaum zu glauben und bald erkannte Rua, daß es eine Leiche war, furchtbar durch ihr Alter, der die Eingeweide aus dem Leibe hingen. Gebet war das Mittel, zu dem unsere Christen im Mittelalter bei Geistererscheinungen ihre Zuflucht nahmen, und dem Gebet schreibt auch Rua-a-mariterangi seine Rettung zu. Eine rein irdische Waffe hätte ihm niemals helfen können.
    Der Dämon war, kein Zweifel, dem Grabe entstiegen, obwohl es, wie man bemerkt haben wird, heller Tag war. Und wenn die Erscheinung auch im Widerspruch steht zu dem, was man über die Stunden der Nachtwache und den immer wieder erwähnten Morgensternerzählt, so bildet sie doch durchaus nicht die einzige Ausnahme. Zwar habe ich niemals wieder gehört, daß jemand diesem mittäglichen Baumgeist
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