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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition)
Autoren: Dennis Lehane
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befand, das zu Joes Besitz gehörte. Es war steinig und lag die meiste Zeit im Schatten der Hügel. Nur Würmer und Unkraut schienen sich dort pudelwohl zu fühlen.
    Joe wollte wissen, ob Herodes, ihr bester Fahrer, während des Trocknens viel zu tun hatte.
    »Er kann’s gerade etwas lockerer angehen lassen«, antwortete Ciggy.
    »Prima. Dann sag ihm, dass er das Feld hier pflügen soll.«
    »Hier wächst in tausend Jahren nichts«, sagte Ciggy.
    »Gar nichts«, pflichtete Joe ihm bei.
    »Weshalb sollen wir es dann pflügen?«
    »Weil sich Baseball nun mal besser auf ebenem Terrain spielen lässt.«
    Am selben Tag, als sie den Hügel für den Pitcher aufschichteten, kam Joe mit Tomas auf dem Arm an der Trockenscheune vorbei. Perez, einer der Arbeiter, war gerade dabei, seinem Sohn eine gehörige Abreibung zu verpassen; er prügelte auf den vielleicht achtjährigen Jungen ein wie auf einen Hund, der ihm sein Abendessen weggefressen hatte. »He!«, rief Joe und wollte dazwischengehen, doch im selben Moment trat ihm Ciggy in den Weg.
    Perez und sein Sohn sahen verwirrt zu Joe hinüber. Dann verpasste der Vater seinem Sohn eine weitere Ohrfeige, bevor er ihm nach allen Regeln der Kunst den Hintern versohlte.
    »Muss das sein?«, fragte Joe.
    Tomas wand sich auf Joes Arm und streckte seine Ärmchen nach Ciggy aus, den er mittlerweile in sein Herz geschlossen hatte.
    Ciggy hielt den Kleinen hoch in die Luft und wurde mit lautem Kichern belohnt.
    »Glauben Sie, Perez tut das gern? Glauben Sie ernstlich, er hat sich heute Morgen nach dem Aufwachen vorgenommen, seinen Sohn mal so richtig zu verprügeln, damit er ihn auch ganz bestimmt hassen lernt? O nein, patrón . Er ist aufgestanden in dem Wissen, dass er für seine Familie sorgen muss, damit sie etwas zu essen haben, ein Bett und ein Dach über dem Kopf. Er macht sich Sorgen wegen der Ratten in ihrer Hütte, grübelt darüber, wie er seinen Kindern den rechten Weg weisen, wie er seiner Frau zeigen soll, dass er sie liebt. Ihm bleiben am Tag vielleicht fünf Minuten für sich selbst, er hat nicht mehr als vier Stunden Schlaf in der Nacht, bevor er wieder aufs Feld geht, und wenn er morgens das Haus verlässt, hört er seinen Jüngsten vor Hunger weinen. Und doch kehrt er jeden Abend ins Dorf zurück, bevor der ganze Zirkus am nächsten Tag von vorn losgeht. Und dann bekommt sein Sohn einen Job von Ihnen, patrón , und das ist wie ein Geschenk des Himmels. Und was tut der Junge? Er vermasselt seine große Chance. Cono. Da braucht er sich weiß Gott nicht zu wundern, wenn es Prügel setzt. Lieber Prügel als Hunger.«
    »Was hat er denn angestellt?«
    »Er sollte auf das Feuer in der Trockenscheune achten, aber er ist dabei eingeschlafen. Um ein Haar wäre die ganze Ernte verbrannt.« Er gab Joe seinen Sohn zurück. »Er selbst hätte dabei umkommen können.«
    Als Joe abermals zu Vater und Sohn hinübersah, hatte Perez einen Arm um seinen Jungen gelegt, der heftig nickte. Er sprach leise auf ihn ein und küsste ihn mehrmals auf die Stirn. Die Lektion war vorbei, wenngleich die Küsse den Kleinen nicht zu besänftigen schienen. Und so gingen beide wieder an ihre Arbeit.
    Als die getrockneten Tabakblätter aus der Scheune ins Packhaus hinübergebracht wurden, war auch das Baseballfeld fertig. Die Blätter für den Verkauf vorzubereiten blieb größtenteils den Frauen überlassen, die morgens den Hügel zur Plantage hinaufmarschierten; ihre Gesichter und Hände waren ebenso hart wie die der Männer. Während sie damit begannen, den Tabak entsprechend seiner Qualität zu sortieren, ging Joe mit den Jungs zum Feld, wo er die Handschuhe, Bälle und Schläger verteilte, die erst am Tag zuvor eingetroffen waren. Er überreichte ihnen die drei Kissen für die Bases und die Gummimatte für die Home Plate.
    Und als sie anfingen zu spielen, war es, als hätte er ihnen Flügel verliehen.
    In den frühen Abendstunden sah er sich mit Tomas die Spiele an. Manchmal begleitete sie Graciela, doch ihre Anwesenheit brachte so manchen pubertierenden Jüngling sichtlich aus dem Konzept. Tomas, der sonst stets in Bewegung war, verfolgte mit großen Augen das Geschehen auf dem Platz. Mucksmäuschenstill saß er da, die Hände zwischen die Knie geklemmt, und obwohl er das Spiel noch nicht verstehen konnte, hatte es auf ihn dieselbe Wirkung wie Musik oder warmes Wasser.
    Eines Abends sagte Joe zu Graciela: »Abgesehen von uns ist Baseball das Einzige, was den Leuten hier Hoffnung gibt. Die Jungs
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