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In der Nacht (German Edition)

In der Nacht (German Edition)

Titel: In der Nacht (German Edition)
Autoren: Dennis Lehane
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hinter dem Kopf und ging auf die Knie. Und nachdem er nachgegeben hatte, gaben auch die anderen klein bei.
    »Und Sie kommen hierher, Miss«, sagte Joe zu dem Mädchen. »Keine Angst, wir tun Ihnen nichts.«
    Sie drückte ihre Zigarette aus und blickte ihn an, als spiele sie mit dem Gedanken, sich eine neue anzustecken, sich vielleicht sogar noch einen frischen Drink einzuschenken. Dann durchquerte sie den Raum, eine junge Frau in seinem Alter, um die zwanzig, mit Winteraugen und so blasser Haut, dass er darunter beinahe ihre Adern und das Gewebe sehen konnte.
    Während sie auf ihn zukam, nahmen die Bartolo-Brüder den Spielern ihre Waffen ab. Mit dumpfem Krachen landeten die Pistolen auf dem unweit entfernten Blackjack-Tisch, doch das Mädchen zuckte nicht mal mit der Wimper, während hinter ihren dezembergrauen Augen helle Flammen zu lodern schienen.
    Sie blieb direkt vor ihm stehen, ohne seiner Waffe Beachtung zu schenken, und sagte: »Und was darf ich dem Herrn zu seinem Überfall servieren?«
    Joe reichte ihr einen der zwei Leinensäcke, mit denen er hereingekommen war. »Das Geld, das dort auf dem Tisch liegt, bitte.«
    »Kommt sofort, der Herr.«
    Während sie zum Tisch zurückging, förderte er ein Paar Handschellen aus dem anderen Sack zutage. Dann warf er ihn Paolo zu, der sich über den ersten Spieler beugte, ihm die Hände auf den Rücken fesselte und sich gleich darauf den Nächsten vornahm.
    Mit dem Arm schob das Mädchen den Pot zusammen – Joe sah, dass dort nicht nur Dollarnoten, sondern auch teure Armbanduhren und allerlei Schmuck lagen –, ehe sie auch das Geld zusammenklaubte, das vor den Spielern gelegen hatte. In der Zwischenzeit fesselte Paolo auch die anderen Männer und machte sich anschließend daran, einen nach dem anderen zu knebeln.
    Joe ließ den Blick durch den Raum schweifen – hinter ihm befand sich das Rouletterad, an der Wand unter der Treppe stand der Craps-Tisch. Er zählte drei Blackjack Tische und einen Baccarat-Tisch. Sechs Spielautomaten nahmen die hintere Wand ein. Von einem Dutzend Telefonen auf einem niedrigen Tisch war jederzeit das nächste Wettbüro zu erreichen; auf einer Tafel konnte er die Namen der Pferde lesen, die am Vorabend beim zwölften Rennen in Readville gestartet waren. Abgesehen von der Tür, durch die sie hereingekommen waren, gab es nur eine weitere, auf der sich ein mit Kreide geschriebenes T befand – die Toilette, wie er annahm, da Leute, die tranken, zwischendurch auch mal eine Stange Wasser wegstellen mussten.
    Nur dass Joe auf dem Weg durch die Bar bereits an zwei Toiletten vorbeigekommen war, also mehr als genug. Außerdem hing vor diesem Klosett ein Vorhängeschloss.
    Er sah zu Brenny Loomis, der gefesselt und geknebelt auf dem Boden lag, aber genau beobachtete, wie sich die Rädchen in Joes Kopf zu drehen begannen, während Joe wiederum genau sah, wie es in Loomis’ Oberstübchen arbeitete. Und in diesem Moment wusste er eines so sicher wie das Amen in der Kirche – dass sich hinter der Tür nie und nimmer eine Toilette befand, was ihm beim Anblick des Vorhängeschlosses ohnehin klar gewesen war.
    Sondern der Geldzählraum.
    Albert Whites Geldzählraum.
    Und gemessen daran, dass Tim Hickeys Spielhöllen die letzten zwei Tage nur so gebrummt hatten – es war das erste, ausgesprochen kühle Oktoberwochenende –, vermutete Joe, dass hinter jener Tür ein kleines Vermögen auf sie wartete.
    Albert Whites kleines Vermögen.
    Das Mädchen trat zu ihm und reichte ihm den Sack mit der Poker-Beute. »Ihr Dessert, Sir«, sagte sie. Er konnte kaum glauben, wie gelassen sie wirkte. Sie blickte ihn nicht nur an, sie sah gleichsam durch ihn hindurch. Er war fest davon überzeugt, dass sie sein Gesicht trotz der Maskierung und des tief in die Stirn gezogenen Hutes genau erkennen konnte. Eines Morgens würde er beim Zigarettenholen plötzlich ihre Stimme hinter sich hören: »Das ist der Kerl!« Ihm würde nicht mal Zeit bleiben, die Augen zu schließen, bevor die Kugeln seinen Körper trafen.
    Er nahm den Sack entgegen und ließ ein weiteres Paar Handschellen von seinem Zeigefinger baumeln. »Drehen Sie sich um.«
    »Ja, Sir. Selbstverständlich, Sir.« Sie wandte sich um und legte die Hände auf den Rücken, presste die Handgelenke gegen das Steißbein. Ihre Fingerspitzen befanden sich genau über ihrem Hintern, während Joe jäh aufging, dass jetzt weiß Gott nicht der richtige Moment war, sich auf irgendeinen Mädchenhintern zu konzentrieren,
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