Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn

In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn

Titel: In den Spiegeln - Teil 2 - Evelyn
Autoren: Ales Pickar
Vom Netzwerk:
Flugkörper am Steißbein. Flammen des Fegefeuers die von ihren Fußknöcheln aufstiegen und bereits einen Großteil des Unterschenkels verzehrten.
    »Hättest du es lieber, wenn ich große Brüste hätte?« fragte sie mit einem nymphomanisch anmutenden Gesichtsausdruck. »Große, wulstige Titten, in die man sein Gesicht eintauchen kann und deren Brustwarzenhöfe so groß sind, wie Bierdeckel?«
    Ich nahm das heiße Wasser und goss es in die Tassen. Mein Mundwinkel zuckte. Sie mochte winzige Brüste haben, doch sie wusste am besten, wie man meine Albträume verscheucht und mich in kürzester Zeit auf andere Gedanken bringt. Meine Mutter konnte das auf jeden Fall nicht so gut.
    »Nein. Ich mag deine Brüste, so wie sie sind. Sie geben mir das Gefühl, ein Päderast zu sein, und dir geben sie den Touch eines japanischen Bondage-Stars.«
    »Schwein«, antwortete sie und beugte sich zum Kühlschrank, um die Milch heraus zu holen. »Man sollte dich kastrieren.«
    Wir nahmen unsere Tassen mit ins Wohnzimmer. Dort saßen wir auf dem Sofa und schlürften den Milchkaffee. Ich verschlafen, sie munter.
    »Es ist stets so nahe...«, sagte ich plötzlich. »Alles ist zum Greifen nahe. Es ergibt alles einen Sinn. Als wäre ich jemand anders. Und dann, wenn die Bilder unerträglich werden, zerfällt es zu einer absurden Phantasie. Als ob mein Unterbewusstsein sich im letzten Augenblick einmischen würde, um zu verhindern, dass ich wahnsinnig werde.«
    »Also ist es bis zu dem Augenblick, an dem alles surreal wird und du erwachst, irgendwie kein richtiger Traum?«
    »So fühlt es sich an«, entgegnete ich, obwohl ich nicht glaubte, dass sie sich wirklich vorstellen konnte, was ich meinte. »Als würde man aus einer Doku plötzlich in einen Horrorfilm wechseln, ohne den Übergang zu merken.«
    »Ich sehe schon«, meinte Evelyn. »Wir anderen langweilen uns richtig, wenn wir schlafen.«
    Meine kleine Isis stand auf und verschwand im Schlafzimmer. Sie war nur Augenblicke später zurück. Diesmal ohne Kimono, doch in ihren seidenen Jacques-Britt-Boxershorts, einem gelben Unterhemd und schwarzen Tanzschuhen.
    Sie legte eine selbstgebrannte CD in meine Bang & Olufsen und schob den Sessel beiseite. Es gab zwei Leidenschaften in Evelyns Welt: Tanz und Sadomasochismus. Doch davon zu sprechen, dass Evelyn diese Leidenschaften besaß, wäre kaum zutreffend gewesen, denn ich gewann zunehmend den Eindruck, dass es umgekehrt war. Diese Leidenschaften besaßen Evelyn. Sie war ihnen ausgeliefert und von ihnen genauso abhängig wie von Wasser und Luft.
    Der sanften, doch graduierenden Grooves begannen durch die Wohnung zu pulsieren wie Ozeanwellen. Die Beats brandeten auf meinem Brustkorb und glitten zurück, um dem nächsten Pulsschlag Platz zu machen. Ich kannte Evelyns Musik inzwischen ganz gut. Das hier war Wamdue Project . Deep House. Mit einem Schuss Down Tempo . In Evelyns Nähe blieb man immer hip . Sie war eine DJane, eine Performance-Künstlerin und Tänzerin. Ich hatte in München gedacht, ich würde mich ein wenig auskennen. Doch Evelyn, die jeden Plattenladen-Besitzer in der Stadt beim Vornamen nannte, setzte für mich neue Maßstäbe.
    Sie begann zu tanzen in dieser typischen Mischung aus Hip Hop, Disco und Modern Dance — ich war völlig außerstande, die Stile richtig zuzuordnen. Ihre Art zu tanzen war durchaus erotisch, aber es war kein Gogo-Dance und eignete sich schon gar nicht für die verchromte Stange einer Hurenbar. Das hier war die androgyne Groove-Zone an der Schwelle des Millenniums. Sie war keine Sklavin von Stilettoabsätzen, die sie zwangen ihre Hüften nach vorn zu drücken und ihre Bewegungen einzugrenzen, damit nur jene Drehungen und Gesten erlaubt waren, die dem trivialen Blick des Mannes genügten. Sie trug beim Tanz nie Absätze, schon eher mal schwere Stiefel mit glänzenden Metallkappen und dicken Sohlen. Ihr Tanzen war nicht »fuck me«, es war eindeutig »fuck you«.
    Sie trainierte jeden Tag. Inzwischen kam sie vor der dritten Musiknummer gar nicht erst ins Schwitzen. Sie wollte eines Tages davon leben. Und das war eine mutige Idee.
    Ich kratzte mich im Schritt und sah ihr, an meiner Kaffeetasse nippend, zu. Evelyn war keine Schönheit, wenn man abgehetzte Mähren wie Heidi und Claudia als Maßstab nimmt. Sie war gerade mal hundertsechsundfünfzig Zentimeter hoch und jeder einzelne Zentimeter unterstrich ihre knabenhafte Gestalt. Ihre Beine und Arme waren drahtig und kräftig. Ungeeignet für das zierliche
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher