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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht
Autoren: Anne Perry
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gewusst?«
    »Wie hätte es jemand anderer wissen können?«, fragte sie so leise, dass er sich nach vorn beugen musste, um sie zu verstehen. Sie spürte die Glut in ihrem Gesicht, und doch waren ihre Hände kalt.
    Er starrte sie an. »Wollen Sie damit etwa sagen…
    wollen Sie damit sagen, was ich denke…«
    Er stolperte über seine Worte. »Nein! Das hätte er niemals getan!«
    Genauso wenig wie Breeland wegen der zeitlichen Abläufe schuldig sein konnte, so galt das auch für Casbolt. Sie verabscheute es, ihm wehzutun, aber er war die Person, der sie vertrauen konnte und die sich in einer Lage befand, die Wahrheit herausfinden zu können und darüber vielleicht Stillschweigen zu bewahren.
    »Vielleicht brauchte er das Geld?«
    Seine Augen weiteten sich. »Das Geld? Ich verstehe nicht. Ich bin mit den Geschäftsbüchern bestens vertraut, Mrs. Monk. Die Finanzen sind mehr als geordnet.«
    Schließlich sprach Hester den hässlichen Gedanken laut aus, den sie den ganzen Tag über zu verdrängen und vor sich selbst zu leugnen versucht hatte. »Was, wenn er privat investiert und dabei Geld verloren hätte?«
    Casbolt wirkte erschrocken, als ob der Gedanke ihn aufgerüttelt hätte. Er brauchte einen Augenblick, um seine Fassung wiederzugewinnen.
    »In Aktien, meinen Sie?«, fragte er. »Oder etwas Dergleichen? Das halte ich für unwahrscheinlich. Er war nicht im Entferntesten eine Spielernatur. Und glauben Sie mir, ich kannte ihn lange genug, um mir diesbezüglich sicher zu sein.« Er sprach sehr ernsthaft, war immer noch vornübergebeugt. Er hatte die Hände ineinander verschränkt, und seine Knöchel waren weiß.
    Hester musste fortfahren, sie musste ihm erklären, was sie meinte. »Nicht Aktien oder Anteile, und ich hatte niemals an Glücksspiel gedacht, Mr. Casbolt. Ich dachte an etwas, was zunächst als sicherer geschäftlicher Handel ohne jegliches Risiko aussah.«
    Er sah sie an, seine Augen waren überschattet, und er wartete darauf, dass sie fortfahren würde.
    »Wie, zum Beispiel, Waffen an die Chinesen zu verkaufen«, antwortete sie.
    Sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten, und seine Gefühle waren zu tiefgründig, um sie abschätzen zu können. Genau in dem Moment meinte sie, dass er wusste, worauf sie hinauswollte. Er hatte es verborgen, um Alberton zu schützen, möglicherweise noch mehr, um Judith zu schützen. Schlagartig wurde ihr bewusst, wie sehr aus allem seine Liebe zu ihr sprach und warum er so außergewöhnlich war. Vielleicht würde gar keine Notwendigkeit dazu bestehen, es irgendjemandem zu sagen. Sie mussten auch gar nicht mehr wissen. Rätselhaftigkeit und unbeantwortete Fragen würden besser sein als die Wahrheit.
    »Der dritte chinesische Krieg«, führte sie den Gedanken zu Ende. »Wenn er in Waffen investierte, um sie an die Chinesen zu verkaufen, sie auslieferte und die Chinesen sich dann weigerten, zu bezahlen, weil mittlerweile zwischen ihnen und England ein Krieg ausgebrochen war, dann hatte das niemand vorhersehen können. Aber dadurch hätte er doch einen schweren Verlust erlitten… nicht wahr?«
    Casbolts Lippen pressten sich aufeinander, aber sein Blick wich dem ihren nicht aus.
    »Ja…«
    »Wäre das nicht denkbar?«
    »Natürlich wäre das denkbar. Aber was ist dann Ihrer Meinung nach in der Nacht geschehen, in der er getötet wurde? Ich verstehe immer noch nicht, wie ein Verlustgeschäft mit den Chinesen damit in Zusammenhang stehen könnte.«
    »Doch, das tun Sie«, sagte sie leise. »Was wäre, wenn Breeland nicht nur sagte, was er für die Wahrheit hielt, sondern wenn es wirklich der Wahrheit entspräche? Alberton hätte Philo Trace’ Geld annehmen können, das ihm dieser in gutem Glauben gegeben hatte, dann aber die Waffen an Breeland verkaufen können, die er von Shearer an den Bahnhof liefern ließ. Er hätte dann über zwei Geldbeträge verfügt, die einen beträchtlichen Gewinn bedeutet hätten… mehr als ausreichend, um damit den Verlust mit den Chinesen wettzumachen.«
    Casbolt erhob keine Einwände. Sein Gesicht wirkte verletzt, fast als wäre er geschlagen worden.
    »Aber wer tötete ihn? Und weshalb?«
    »Wer immer die Piraten repräsentierte«, antwortete sie.
    »Ja, wahrscheinlich.«
    »Oder es kam zu einer Konfrontation«, fügte sie hinzu, und ihre Stimme drückte Hoffnung aus. »Vielleicht wusste er, wer sie waren, und hatte zugesagt, mit ihnen ins Geschäft zu kommen, weil er plante, irgendeine Form von Gerechtigkeit für Judiths Familie auszuüben.«
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