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In den Fängen der Macht

In den Fängen der Macht

Titel: In den Fängen der Macht
Autoren: Anne Perry
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einen Kopf. Er stieß gegen seinen Helm und legte sich über das Glas vor seinen Augen.
    Menschliches Haar im Wasser! Trace ertrank!
    Monk streckte die Hand aus und griff nach dem Arm, gleichzeitig versuchte er verzweifelt, an dem Seil zu ziehen. Er musste Hilfe holen! Was war nur geschehen?
    Der Arm bot keinen Widerstand, und er hatte praktisch kein Gewicht. Allmächtiger Gott! Es war ein einzelner Arm… ein abgerissener Arm, aufgedunsen und fast nackt! Vage konnte er sehen, wo sich seine Finger in das Fleisch gekrallt hatten, als hätte er in weiches Fett gegriffen.
    Er spürte, dass ihn ein Brechreiz überkam, beherrschte sich mühsam, um sich nicht übergeben zu müssen. Der restliche Körper lag vor ihm, fast komplett, riesenhaft. Berührte man ihn, zerfiel er.
    Durch die Finsternis sah er Trace’ schwankende Laterne. Ein anderer Körper trieb an ihm vorbei und verschwand.
    Das ergab keinen Sinn. Wer waren diese Leichen? Monk zwang sich, seinen Ekel zu überwinden und langsam einer der Leichen zu folgen. Absichtlich tastete er umher, bis er den Kopf gefunden hatte. Er leuchtete mit der Laterne darauf, ging noch näher heran und versuchte, nicht auf die unkenntlichen Gesichtszüge zu sehen. Das Einschussloch war noch zu erkennen, in dem weißlichen, halb zersetzten Fleisch auf der Stirn war es kaum mehr zu sehen, aber dafür umso deutlicher auf dem zersplitterten Schädelknochen.
    Es schien eine endlose Zeit zu dauern, bis sie, in der engen Kabine umhertapsend, sich gegenseitig immer wieder anrempelnd und an die grässlichen eingeschlossenen Leichen stoßend, zweifelsfrei festgestellt hatten, dass es drei Männer waren, die durch Schüsse getötet worden waren.
    Trace kam auf Monk zu, hielt ihn am Arm fest und brachte seinen Helm ganz nahe zu dem Monks. Als er sprach, konnte Monk seine Worte tatsächlich fast normal verstehen.
    »Shearer!«, sagte Trace deutlich und schwenkte den anderen Arm mit der Laterne in Richtung einer der Leichen.
    Shearer! Natürlich! Wegen dieser abscheulichen Tat hatte niemand Walter Shearer mehr gesehen, seit der Nacht von Albertons Tod. Also war er Alberton doch treu ergeben gewesen. Er war mit dem Prahm hier heruntergefahren und wurde mit den anderen beiden erschossen. Waren sie es gewesen, die die Morde begangen hatten? Warum? Und auf wessen Befehl?
    Er machte ein Zeichen, um anzudeuten, dass er verstanden hatte, dann drehte er sich um und tapste aus der schrecklichen Kabine hinaus. Plötzlich blieb er abrupt stehen, da sein Luftschlauch sich auf einmal spannte und fast zu reißen drohte. Namenlose Panik raubte ihm den Atem. Kalter Schweiß brach aus allen Poren. Trace! Aber natürlich! Jetzt würde er hier unten in diesem schmutzigen Wasser sterben, allein mit seinem Mörder! Nie mehr wieder würde er Licht erblicken, frische Luft einatmen und Hester in seinen Armen halten und ihr in die Augen sehen.
    Als Monk an jenem Nachmittag das Haus verlassen hatte, versuchte Hester zunächst, sich mit häuslichen Pflichten abzulenken. Mrs. Patrick kam genau zur vereinbarten Zeit um zwei Uhr. Sie war eine kleine zarte Frau mit weißem Haar voller Naturlocken, und sie hatte auffallend blaue Augen. Hester schätzte sie auf etwa fünfzig Jahre. Sie hatte ein markantes Gesicht, wenn auch ein wenig ausgemergelt, und eine muntere Art. Sie sprach mit leicht schottischem Akzent. Hester konnte ihre Aussprache nicht ganz genau zuordnen, aber sie wusste, dass sie nicht von Edinburgh sein konnte. Sie kannte diese Stadt zu gut, um den dortigen Tonfall mit einem anderen zu verwechseln.
    Mrs. Patrick, adrett in Weiß gekleidet und eine gestärkte Schürze umgebunden, begann die Küche aufzuräumen und überlegte dann, welche anderen Aufgaben erledigt werden mussten: Der kleine Ofen musste gesäubert und geschwärzt werden, die Wäsche musste gemacht und der Fußboden in der Küche geschrubbt werden, die Speisekammer musste geputzt werden, und sie musste eine Liste erstellen, welche Vorräte zu ergänzen waren. Dann wollte sie die Teppiche hinausschaffen, die Böden wischen, die Teppiche klopfen und wieder auflegen, die Wäsche aufhängen und die trockene Wäsche vom Vortag bügeln.
    Und natürlich musste sie das Abendessen vorbereiten.
    »Um welche Zeit wird Mr. Monk heimkehren?«, fragte sie, während Hester sich ins Büro zurückgezogen hatte, um nicht im Weg zu stehen.
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte sie aufrichtig. »Er ist zum Tauchen gegangen.«
    Mrs. Patricks Augenbrauen schossen in die Höhe.
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