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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod
Autoren: Diana H. Preston
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im Eis festzustecken, gelang es uns schließlich. 2004 gingen wir in Hobart, Tasmanien, an Bord eines richtigen Eisbrechers. Dieses Mal waren die Bedingungen gut, und die Fahrt nach Süden verlief problemlos. Bei vierzig Grad Süd erspähten wir die ersten Albatrosse, die in den Luftströmungen schwebten, während sie in der silbergrauen See nach Tintenfischen jagten. Bei fünfzig Grad Süd lag eine deutlich antarktische Schärfe in der Luft, und bei sechzig Grad herrschte leichter Schneefall. Bald danach schaukelte der erste Eisberg – ein blaßtürkiser Brocken – langsam auf uns zu. Dann kam der so genannte »Eisblink« – der weiß schimmernde Widerschein des Packeises, von dem Antarktika umschlossen ist.
    Wir fuhren an Cape Adare vorbei ins Ross-Meer und glitten an dem hoch aufragenden, überwältigenden Transarktischen Gebirge entlang. Als wir auf die Ross-Insel zusteuerten, stand die Sonne tief am Himmel und tauchte den Blas eines Schwarms Killerwale, die sich in unserer Nähe tummelten, in leuchtendes Rosa. Am nächsten Tag blockierte treibendes Stück der ehemals geschlossenen Eisdecke, das so dick war, dass nicht einmal ein Eisbrecher es zertrümmern konnte, den letzten Abschnitt bis nach Cape Evans, doch wir konnten mit einem der Hubschrauber des Schiffes unweit von Scotts Hütte landen. Unter ihrem Schneekokon und vor dem mächtigen Mount Erebus im Hintergrund wirkte die Hütte rührend klein.
    Während ich über das Eis auf den Eingang zuschlitterte, widerstrebte es mir plötzlich und unvermutet, einen Ort zu betreten, der mit so vielen Emotionen befrachtet war und mit dem ich mich gedanklich schon so lange beschäftigt hatte. Als ich schließlich hineinging, verschlug mir die muffige Atmosphäre den Atem. Sie rief die Mahlzeiten in Erinnerung, die vor langer Zeit auf den mit Seehundtran beheizten Blubberöfen gekocht wurden, welche alles mit Rauch und Fett durchdrangen. Nachdem sich meine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten, machte ich allmählich ein paar sehr menschliche Habseligkeiten der Männer aus, die einst hier gelebt und gearbeitet hatten. In der Kombüse, in der Clissold, der Koch, nachts das Brot buk, stapeln sich noch immer Vorräte – Schachteln mit Schlittenvorräten, Flaschen Heinz-Tomatenketchup, Dosen mit Lyles Golden Syrup und Colman’s Senf. Der lange Tisch, an dem Scotts Männer Mittwinter – das antarktische Weihnachten – mit einem Festmahl aus Pinguinbrust mit Rote-Johannisbeer-Gelee feierten, steht noch immer da. Wenn man die glatte Holzoberfläche berührt, beschwört man sogleich die improvisierten Dekorationen herauf, die Köstlichkeiten, die eigens für diesen Anlass aufgespart wurden, und die begeisterten, fröhlichen jungen Gesichter, die Herbert Ponting auf Film festhielt. Seine kleine, ordentliche Dunkelkammer ist noch immer Beleg für sein Geschick als »Kamerakünstler«, wie er sich gern bezeichnete. Die »Mietskaserne« an der Nordwand, wo Oates und Bowers schliefen und ihre Jungenstreiche für die ihnen gegenüber hausenden Wissenschaftler ausheckten, sehen genauso aus wie auf Pontings Photos. Scotts privates Abteil mit dem schmalen Bett und einem Rentierschlafsack wirkt ebenfalls schmerzlich vertraut, und es hängt noch immer eine Photographie von Kathleen und seinem Sohn Peter, noch ein Baby, an der Wand. Über der nahen Koje von Edward Wilson verläuft ein Regalbrett, auf dem noch immer jede Menge Medizinflaschen stehen.
    Man bekommt einen Kloß im Hals, wenn man sich die Habseligkeiten derer ansieht, die nicht mehr zurückkehrten. Aber auch wenn man an diejenigen denkt, die hier warteten und vergeblich hofften, Scott und seine Gruppe könnten noch zurückkommen. Und trotzdem ist die Hütte bei Cape Evans eher gemütlich als unheimlich. Die tragischen Geister, die ich beim Eintreten so deutlich gespürt hatte, tauchten, als die Minuten verstrichen, doch nicht auf. So viele Dinge – noch immer gegen die Wand gelehnte Hockeyschläger, die wissenschaftliche Ausrüstung, ja sogar Socken, die zum Trocknen aufgehängt waren – erinnern daran, dass für viele von Scotts Gefährten die Monate, die sie in der abgeschiedenen weißen Wildnis Antarktikas verbrachten, das größte Abenteuer ihres Lebens waren und dass sie hier die herzlichsten und intensivsten menschlichen Momente erlebten.
    Wir fuhren ein Stück weiter nach Süden und gelangten zum Hut Point, wo Scott auf seiner ersten Expedition 1904 die Discovery mit einem Eisanker festmachte und die
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