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In dein Herz geschrieben

Titel: In dein Herz geschrieben
Autoren: Pamela Duncan Andrea Brandl
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Ordnung, jemanden anzustarren, wenn derjenige es nicht mitbekam. Auf diese Weise riskierte man wenigstens nicht, erwischt und in Verlegenheit gebracht zu werden.
    Hector klappte geräuschvoll den Mund zu, rollte sich zu ihr herum und begann, tief durch die Nase zu atmen. In der plötzlichen Stille fiel ihr auf, dass es aufgehört hatte - das
laute Dröhnen des Sturmes, das Knarren und Ächzen des Daches, das Beben der Mauern, das Platschen des Regens auf den Fensterscheiben. War es vorbei? Sie drehte sich zu Hector um, wollte ihn wecken und bitten, nach draußen zu gehen und nachzusehen.
    »Was siehst du an?«, fragte er leise.
    Oh Gott, dachte sie und war mit einem Mal dankbar für die Dunkelheit. »Nichts. Ich kann gar nichts sehen. Aber ich glaube, es hat aufgehört.«
    Er setzte sich auf und lauschte. Dann knipste er die Lampe an und zog sich die Schuhe an. »Bleib hier.« Von der anderen Seite der Tür drang kein Lichtschimmer herein, was bedeutete, dass es draußen immer noch dunkel sein musste. Als er zurückkam, hatte sie ihre Schuhe angezogen und saß da, bereit, ihm zu folgen. »Komm«, sagte er, »das musst du dir ansehen.« Er legte ihr die Hände auf die Schultern, ließ sie über ihre Arme wandern und nahm ihre Hände, um sie auf die Füße zu ziehen. Langsam durchquerten sie das Schlafzimmer, tasteten sich mit den Füßen vorwärts und hörten Glas unter ihren Schuhen knirschen. Der Wind war im Haus, doch sie konnten nicht ausmachen, woher er kam.
    Als sie den Türrahmen erreichten, der ins Wohnzimmer führte, richtete Hector den Lichtkegel der Taschenlampe auf den Raum. Cassandra schnappte entsetzt nach Luft. Nun wusste sie, woher der Wind kam.
    »Ich weiß.« Er legte ihr den Arm um die Schultern.
    Die gesamte Rückwand des Hauses war regelrecht herausgeschnitten, als wäre ein gigantisches Hackbeil herabgesaust und hätte die Mauer mit chirurgischer Präzision abgetrennt. Die Mauern und das Dach waren nirgendwo zu sehen. Wahrscheinlich waren sie von den unter ihnen donnernden Wellen fortgespült worden. Auch von der Terrasse, dem Pavillon, dem Pool und dem hübschen Garten keine Spur mehr. Alles fortgerissen. Sie blickte in die Richtung, in der sich der Iron
Steamer Pier befand, doch es war noch zu dunkel und verregnet, um etwas zu erkennen. Bitte, lass ihn noch da sein, betete sie. Bitte mach, dass er nicht weg ist. Doch in diesem Moment überkamen sie Gewissensbisse, weil sie in den kläglichen Resten dessen stand, was von Evelyns Haus übrig geblieben war, und darum betete, der Pier möge unversehrt sein.
    »Oh Gott!« Sie sah Hector an, wohl wissend, dass sie dasselbe dachten - hätte er nicht darauf bestanden, dass sie sich in diesem Schrank verbarrikadierten, sondern wären stattdessen im Wohnzimmer oder dem großen Schlafzimmer geblieben, wären sie jetzt tot.
    Voller Dankbarkeit schlang sie ihm die Arme um die Taille. Es war ein Wunder, dass sie lebten. Ein Wunder. Sie schniefte und kämpfte mit den Tränen.
    »Hast du das nicht auch getan, als wir uns kennen gelernt haben?«, fragte er und reichte ihr ein Taschentuch.
    Sie schnäuzte sich. »Das ist aber nicht sehr nett von dir, es mir unter die Nase zu reiben. So etwas tut ein Gentleman nicht.«
    »Niemand hat je behauptet, ich sei ein Gentleman.«
    Er hatte es scherzhaft gesagt, doch ihr entging der Unterton in seiner Stimme nicht. Er glaubte tatsächlich nicht, dass er sich als Gentleman qualifizierte, nur weil er keinen Collegeabschluss besaß und seinen Lebensunterhalt damit verdiente, mit einem Boot herumzufahren. Nur weil er nicht wie Dennis war. Nein, dachte Cassandra, so einfach ging das nicht.
    »Tja.« Sie legte ihre Hände auf seine Wangen und berührte den Verband, der zum Glück trocken war. »Dann werde ich die Erste sein, die das tut.« Sein Griff verstärkte sich, und er zog sie enger an sich. Da sie nicht recht wusste, was sie mit ihren Händen anstellen sollte, legte sie sie auf seine Brust. Er blickte sie an, doch sie konnte seine Augen nicht sehen, was sie nervös machte. Also tat sie, was sie immer tat, wenn sie nervös war - sie blubberte.

    »An diesem ersten Abend war schon alles klar. Nur ein Gentleman würde sich so rührend um eine Wildfremde kümmern, eine fette, alte, heulende, betrunkene Wildfremde. Nur ein Gentleman würde sie zum Essen einladen, sie durch die Gegend fahren und ihr ein Bett für die Nacht besorgen. Nur ein Gentleman würde sie ins Bett stecken, ihren Wagen abschleppen lassen und all das, ohne
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