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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben
Autoren: Maxime Chattam
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können.
    Woodbine zog eine Chesterfield aus seiner Hemdtasche.
    »Tut mir Leid, diesen Hang zur Selbstzerstörung zu durchkreuzen, Captain, aber dies ist ein Nichtraucher-Büro«, bemerkte Thayer und deutete auf das kleine Hinweisschild auf seiner Schreibunterlage.
    Das sagte er wohl schon zum tausendsten Mal, seit sie zusammenarbeiteten. Woodbine aber reagierte nicht und zündete nachdenklich seine Zigarette an.
    »Verdammter Mist, können Sie sich nur für zwei Sekunden vorstellen, was die Presse aus einer solchen Geschichte macht?«, rief er und stieß, oder spuckte vielmehr, eine Rauchwolke aus.
    Thayer nickte.
    »Sehr gut sogar. ›Ein indianischer Killer wütet in New York.‹ ›Er tötet Frauen holländischen Ursprungs für vierundzwanzig Dollar die Seele.‹ 1 Unsinn! Ich vergaß, dass unsere Unbekannte aus dem Prospect Park Latino ist. Da sind natürlich die Schlagzeilen hinfällig.«
    Annabel hatte es sich abgewöhnt, auf die Scherze ihres Kollegen zu reagieren, der die Dinge gerne durch eine »geistreiche Bemerkung« dramatisierte.
    »Und diese Tätowierung, was hat die zu bedeuten? Haben wir da schon eine Idee?«, wollte Woodbine wissen.
    »Nichts Genaues. Das kann alles sein, angefangen bei einer Wahnvorstellung ohne jeglichen Sinn«, erwiderte Annabel.
    »Warum keine Botschaft, eine Art Scharade, um uns herauszufordern? Wie es beim Tierkreis-Mörder der Fall war.«
    Captain Woodbine hatte das mit einer Arglosigkeit gesagt, die Annabel amüsierte. Er will sich beruhigen, dachte sie. Er will glauben, dass wir auf alles eine Antwort, dass wir die Situation im Griff haben. Woodbine gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die sich eine Geschichte wie diese wünschten und dabei hofften, durch eine Lösung des Falls plötzlich im Rampenlicht zu stehen. Sein Ehrgeiz beschränkte sich darauf, sein Team gut zu führen und in der Hierarchie nicht allzu hoch aufzusteigen. Doch nachdem sich seit einigen Jahren die Politik der schnellen Resultate durchgesetzt hatte, löste er einen Fall lieber mit seinen Leuten, um die Lorbeeren für das eigene Revier zu ernten, statt sie anderen zu überlassen.
    »Nein«, gab Thayer zurück, »ich glaube nicht, dass es sich um eine verschlüsselte Nachricht handelt. Die Unbekannte sollte bestimmt nicht entdeckt werden. Ich bin ziemlich sicher, dass sie geflohen ist.«
    »Gut, also schnappen wir den Kerl, der das getan hat, dann finden wir auch eine Erklärung für die Tätowierung«, schloss Woodbine, als wäre das ein Kinderspiel.
    Zum Zeichen des Protests hob Thayer den Zeigefinger, doch Annabel fuhr dazwischen.
    »Jack, wenn du uns lieber sagen würdest, was dir die Zeugen von der Parkside Avenue erzählt haben.«
    »Nichts, was uns weiterhelfen würde. Alle bestätigen, dass sie wie eine Verrückte rannte und an der Kreuzung Ocean Avenue die Fahrbahn überquerte, um in den Park zu stürzen. Niemand scheint sagen zu können, woher sie kam. Der Besitzer eines kleinen Lebensmittelladens zehn Meter von der Kreuzung entfernt hat auch gesehen, wie sie nackt über den Gehweg rannte. Chronologisch betrachtet ist er der Erste, der sie bemerkt hat. Mehr weiß man im Augenblick nicht. Flatbush ist abends nicht gerade belebt, aber auch nicht ausgestorben, und so kann man davon ausgehen, dass sie in diesem Viertel von irgendwo in einem begrenzten Umkreis rund um die Kreuzung Parkside und Ocean Avenue geflohen ist.«
    Der Captain rieb sich die Hände und erklärte, die Zigarette im Mundwinkel: »Gut, ich schicke euch Collins, Attwel, Fremont und Lenhart zur Verstärkung. Ihr durchkämmt das besagte Gebiet, befragt jeden, Jung und Alt, und findet heraus, woher das Mädchen gekommen sein kann. Aus welchem Gebäude, oder wenn es ein Fahrzeug war, welche Marke, welche Farbe, ich will alles wissen.«
    Thayer seufzte.
    »Na, das wird ja ein wahres Vergnügen!«
    Der Zwei-Meter-Riese Woodbine musterte Thayer und Annabel, zögerte, zog an seiner Zigarette und befahl: »Ihr beiden ruht euch vor allem erst mal aus. Die anderen können auch ohne euch anfangen.«
    Es war sechs Uhr abends, die beiden Kollegen hatten dunkle Schatten unter den Augen, doch keiner von ihnen wäre auf den Gedanken gekommen, nach Hause zu fahren. Ihr Alltag bestand aus kleineren Ermittlungen, Kaufhausdiebstählen, Einbrüchen, ein paar Überfällen und jährlich im Durchschnitt vier oder fünf Morden, und sie schätzten sich glücklich, sich nicht mit Versicherungsbetrug herumschlagen zu müssen. Eine Untersuchung wie diese
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