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Immorality Engine

Immorality Engine

Titel: Immorality Engine
Autoren: George Mann
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wobei er Veronica einen höchst geringschätzigen Blick
zuwarf, wünschte sie sich, sie könnte einen Vorwand finden, um draußen zu
warten. Das kam natürlich nicht infrage, und sie war selbstverständlich nicht
bereit, irgendwelche Klischees zu bedienen. Also riss sie sich zusammen und
ging hinein. Schließlich war eine Leiche doch nur ein Gebilde aus totem Fleisch
und Blut, das der Verstorbene nicht mehr brauchte.
    Der Angestellte – er war so bleich, dass er mühelos auch selbst
als Leiche durchgegangen wäre – blickte Newbury hochnäsig an, wandte sich
an Bainbridge und zog missbilligend eine Augenbraue hoch. »Sir Charles, schon
wieder ein höchst irregulärer Besuch. Wie kann ich Ihnen und Ihren … Kollegen
behilflich sein?« Seine Stimme war dünn, und er sprach durch die Nase. Die
Hände hielt er vor sich und legte die Fingerspitzen vor der Brust zu einem
Spitzdach zusammen.
    Bainbridge schürzte die Lippen und packte den Gehstock, bis die
Fingerknöchel weiß anliefen. Einen Moment lang fürchtete Veronica, der
Inspektor werde den aufsässigen Kerl schlagen, doch er beherrschte sich mühsam.
»Sie können uns in der Tat helfen, mein guter Mann. «
Die letzten drei Worte betonte er stark, um dem Burschen zu zeigen, wie
ungeduldig er war. »Beispielsweise könnten Sie mich und meine Kollegen zu dem
bislang nicht identifizierten Toten führen,
den meine Männer vor zwei Tagen am Abend hergebracht haben.« Sein
Schnurrbart zuckte erbost.
    Â»Der junge Mann im Anzug? Der Verdächtige?« Der Wärter der Leichenhalle konnte offenbar kaum glauben, dass die
drei Besucher sich mit einer so geschmacklosen und schmutzigen Angelegenheit
befassen wollten.
    Bainbridge funkelte ihn nur an.
    Nach kurzem Zögern zuckte der Wärter mit den Achseln. »Wenn Sie mir
bitte folgen wollen.« Er drehte sich erhobenen Hauptes um und marschierte in
das Labyrinth der Flure, das gleich hinter dem Empfangsbereich begann. Seine
Schritte hallten laut zwischen den gekachelten Wänden.
    Bainbridge folgte dem Wärter
sofort, und Veronica bildete mit Newbury die Nachhut. Sie hakte sich bei ihm
ein und stützte ihn, als sie sich in Bewegung setzten. Das diente natürlich
ebenso ihrer eigenen Bequemlichkeit wie der seinen. Während sie im grellen
Lampenschein zwischen den glänzenden Kacheln tiefer in das Gebäude eindrangen,
bekam sie ein flaues Gefühl in der Magengrube.
    Ãœberall stank es nach Blut und Exkrementen. Hier und dort hörte
Veronica die grässlichen Geräusche der chirurgischen Kunst: das Raspeln von Knochensägen, die den stummen Toten die Gebeine
zerteilten; Flüssigkeiten plätscherten auf die Bodenfliesen; ein Mann hustete
und würgte; das feuchte Klatschen amputierter Gliedmaßen, die zu Boden fielen.
    Sie fasste Newburys Arm etwas fester. Zum ersten Mal an diesem Tag
wandte er sich wirklich an sie, und endlich hatte sie das Gefühl, dass er sie
auch wahrnahm. Beruhigend tätschelte er ihre Hand, holte tief Luft und schien
schlagartig ein ganzes Stück zu wachsen. Es war, als verjüngte und erfrischte
ihn das Wissen, gebraucht zu werden. Als wäre dies das Lebensblut, das ihn
aufrecht hielt und ihm neue Kraft verlieh. War es etwa Vernachlässigung
gewesen, die ihn in so schreckliche Abgründe gestürzt hatte? Die Einsamkeit?
    Anscheinend traf Bainbridges Einschätzung zu. Newbury brauchte ein
ordentliches Rätsel und einen Berg Arbeit, auf den er sich stürzen konnte. Sie
fragte sich, was er nun zu dem kleinen Rätsel des Chief Inspector sagen würde.
    Der Wärter der Leichenhalle führte sie in eine entlegene Ecke, wo
der Tote, den sie untersuchen wollten, unter einem dünnen weißen Tuch auf einer
Marmorplatte lag. Trotz der Kälte hatte die Verwesung bereits eingesetzt.
Veronica rümpfte angewidert die Nase. Sie hoffte, Newbury werde sich nicht
lange mit gründlichen Untersuchungen aufhalten, sondern sich mit einem raschen
Blick begnügen.
    Â»Wenn Sie mich jetzt nicht mehr brauchen …«, sagte der blasierte
Angestellte mit seiner dünnen Stimme. Bainbridge nickte ihm knapp zu, worauf
sich der Mann mit hoheitsvoller Miene umdrehte und hinausging.
    Newbury lächelte Veronica an, entzog ihr den Arm und trat an den
Untersuchungstisch, um neben dem Toten stehen zu bleiben. »Nun, Charles, was
haben wir hier?«
    Bainbridge runzelte
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