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Immer wenn er mich berührte

Immer wenn er mich berührte

Titel: Immer wenn er mich berührte
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gesamte Werbung von Westphal-Mode zu bekommen. Westphal schreibt persönlich – am besten, ich lese Ihnen schnell den Brief vor …«
    »Danke«, unterbrach ihn Jürgen. »Das hat Zeit bis morgen.«
    »Westphal hat doch bestimmt einen Werbeetat mit einer siebenstelligen Zahl«, fuhr Hannemann fort.
    »Ja, so wird es sein.« Jürgen beendete das Gespräch so schnell er konnte. Eine Sensation war diese Westphal-Geschichte. Vor ein paar Tagen wäre er darüber noch aus dem Häuschen geraten. Im Augenblick berührte ihn die Sache kaum.
    Er war allein im Haus. Und hier gab es nichts, was nicht an Janine erinnerte. Ihr Bild stand nicht nur in einem Silberrahmen auf seinem Schreibtisch, diese lachende, zärtliche Janine war überall, er sah sie im Sessel sitzen, aus der Küche kommen, vor dem Spiegel stehen.
    Natürlich kommt sie zurück, versuchte er sich vorzubeten. Ihre Kleider hängen im Schrank, ihr Kosmetikkoffer steht im Bad, die Schuhe sind da, hundert andere Dinge. Und in der Luft hängt noch ihr Parfum …
    Jürgen zündete sich die letzte Zigarette aus einem Päckchen an, das er erst vor ein paar Stunden aufgerissen hatte. Der Aschenbecher war voll von Kippen.
    »Rauch nicht so viel, Liebling.« Ja, das hätte Janine jetzt gesagt.
    Drei Tage waren verstrichen. Er hatte sie überall gesucht, bei Freunden, bei Bekannten, in Hotels, in Pensionen, er hatte bei einer alten Tante in Ochsenfurt angerufen, er war planlos durch die Stadt gerannt in der Hoffnung, sie plötzlich irgendwo auf der Straße zu sehen …
    Jetzt tat er nichts mehr. Bloß warten. Zweifellos war das das schlimmste Stadium. Denn dabei folterten ihn die Gedanken. Was ist, Jürgen, wenn sie sich etwas angetan hat? Was ist, wenn sie sich nie mehr meldet?
    Solche Fragen kann man nicht mit einem Whisky hinunterspülen. So sehr er sich auch dagegen wehrte, so sehr er versuchte, sich zusammenzureißen, diese Gespenster ließen sich nicht verjagen.
    Gegen halb vier nachmittags verließ Jürgen Siebert das Haus. Er entschloß sich, eine Vermißtenanzeige aufzugeben und die Polizei um Hilfe zu bitten. Natürlich, das war die Lösung, die hatten doch einen ganz anderen Apparat. Die würden sie finden, die mußten sie finden …
    Ein marokkanischer Soldat, dem man es an seinem staubverkrusteten Gesicht ansah, daß er zu den Rettungsmannschaften gehörte, stand plötzlich vor Janines Feldbett.
    »Wo ist kleiner Junge?« fragte er in holprigem Kolonialfranzösisch.
    »Was für ein Junge?« fragte Janine zurück.
    Der Soldat klopfte sich an die Brust. »Ich Sie, Madame, zusammen mit kleinen Jungen aus den Trümmern von Hotel getragen, Junge hatte gelben Schlafanzug und Teddybär … Sie nicht Mama?«
    Entsetzt starrte Janine den Soldaten an. Hatte sie auch ihr Kind vergessen?
    »Wo haben Sie ihn hingebracht?« fragte sie entsetzt.
    »Hier – muß in einem von diese Zelte sein.«
    »Ist er verletzt?«
    Sie bemerkte, wie er zögerte. »Ich glaube … weiß nicht«, stotterte er.
    Janine warf die Decke zurück, versuchte aufzustehen. Sie taumelte.
    »Sie nicht aufregen, bitte«, sagte der Soldat.
    »Vielleicht ist er tot, und deshalb hat man mir nichts gesagt.«
    »Nein, nein!« Der Marokkaner hob beschwörend seine Hände.
    »Wie groß war der Junge? Wie groß, wie alt? So reden Sie doch!«
    Der Soldat sah sie verwirrt an. »Ich hole Schwester«, erklärte er und lief davon, noch ehe sie etwas entgegnen konnte.
    Janine spürte ein würgendes Gefühl in der Kehle. Sie faßte sich mit beiden Händen an die Schläfen. Kann man das auch vergessen, dachte sie, ein Kind, das man geboren hat, seinen ersten Schrei, sein Lachen, seine Tränen, seinen Teddybär, seinen Namen …
    Sie stand auf. Ihre Beine trugen sie kaum. Aber sie fand den Weg zum Ausgang. Als sie draußen in der Sonne stand, zwischen den Zelten und dem unvorstellbaren Gewimmel der Menschen, drohte sie umzusinken.
    Aber sie riß sich zusammen. Ich muß meinen Jungen suchen, dachte sie, wenn ich sein Gesicht sehe, dann wird der Schleier fallen, er wird Mami sagen, und ich werde mein Leben zurück haben, er wird seine Arme um mich legen, mich fest an sich drücken, und ich werde wieder ein normaler Mensch sein.
    Wie eine Schlafwandlerin irrte sie herum. Sie hatte keinen Blick für ihre Umgebung, keinen Blick für die Katastrophe, sie suchte unter Kindergesichtern ein bestimmtes, einen kleinen Jungen, der seine Mutti erkannte.
    Sie fiel nicht auf. Sie war nicht die einzige, die unter Toten und Lebenden nach
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