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Immer wenn er mich berührte

Immer wenn er mich berührte

Titel: Immer wenn er mich berührte
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Portier hat mich nie vorher gesehen, auch ein Kellner nicht, der überlebt hat.«
    »Eine Aussage haben wir zumindest«, stellte Haller fest, »leider hilft sie uns nicht weiter. Der Junge, der mit Ihnen gerettet wurde, kann sich genau an Sie erinnern. Er hat die blonde Tante genau beschrieben, er weiß jedes Wort, was Sie da auf dem Hotelflur zu ihm gesagt haben, aber damit ist es auch aus. Sie haben vergessen, Janine, ihm Ihren Namen zu sagen …«
    Janine schüttelte den Kopf. »Glauben Sie mir, Herr Doktor, ich komme mir mit meiner Geschichte allmählich lächerlich vor.« Ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. »Überlegen Sie doch mal. Doktor, was ist ein Mensch, der sein Gedächtnis verloren hat? Das sogenannte Ich … Es setzt sich doch zusammen aus Erinnerungen aus einer Summe von Erlebnissen … ohne diese Dinge ist man leer …«
    Dr. Haller griff nach ihrer Hand und hielt sie fest in der seinen. »Janine, nun hören Sie mir mal gut zu. Ihr Fall ist ungewöhnlich, aber gerade bei solchen Katastrophen sind ähnliche Fälle schon oft vorgekommen. Und sie sind alle wieder ins richtige Gleis geraten. Sie müssen Geduld haben, nicht nachgrübeln, nicht sinnieren – eine einzige Begegnung, vielleicht bloß ein Wort, ein Bild, wird mit einem Schlag die Tür zu Ihrer Vergangenheit aufreißen.«
    Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. »Ab jetzt bin ich ganz tapfer«, versprach sie.
    Dr. Haller stand auf. »Sehen Sie, ich habe mir die neurologischen Befunde angesehen, Röntgenbilder, Augenhintergrund, Lumbalpunktion, Pupillenreflexe und so weiter … alles ist ohne Befund. Das heißt, es liegt keine organische Hirnschädigung vor. Organisch sind Sie gesund, meine Liebe.«
    Sie mußte lachen.
    Er lachte auch. »Sie sind jung und hübsch, Janine. Lassen Sie doch Ihre Vergangenheit einfach sausen, fangen Sie ein neues Leben an. Ich zum Beispiel bin Junggeselle. Sie heiraten mich und alle Probleme sind gelöst.«
    »Machen Sie diesen Vorschlag allen Ihren Patientinnen, Doktor?«
    »Wo denken Sie hin, Janine. Halten Sie mich etwa für einen Heiratsschwindler?« Jungenhaft grinsend zog er die Tür hinter sich zu.

IV
    Der Schnee hatte alles zugedeckt, die aufgeworfene Erde, die Kränze, die Blumen. Nur ein schmales, gelbes Brett ragte aus dem Boden. Darauf stand mit Tusche geschrieben: Janine Siebert, 27 Jahre.
    Jürgen stand stumm vor dem weißen Grab. Er hatte Friedhöfe nie gemocht, hatte immer einen weiten Bogen um sie gemacht. Seit nun vor ein paar Tagen vier schweigsame Männer mit schwarzen Umhängen den hellen Eichensarg in die Gruft gesenkt hatten, war er öfters hier. Er kannte jetzt die Wege des Mariendorfer Heidefriedhofs.
    Die Nähe des Todes schreckte ihn nicht mehr. Aber Ruhe fand er auch hier nicht. Die Verzweiflung der letzten Tage war einer schrecklichen Leere gewichen. Er hatte das Gefühl, daß die Zeit sinnlos verrann, alles, was um ihn geschah, war ihm gleichgültig geworden. Die Zeit heilt Wunden, solche dummen Sprüche hatte er sich zur Genüge angehört.
    Schritte auf dem Kies rissen ihn aus seinen Gedanken. Er drehte sich um, sah eine Frau, die einen kleinen, geschmückten Christbaum trug. Er erschrak. Natürlich, heute war der 22. Dezember. In zwei Tagen war Weihnachten …
    Die fremde Frau murmelte einen Gruß. Er schlug seinen Mantelkragen hoch und ging langsam zum Ausgang.
    Gegen halb neun betrat er sein Büro. Für seinen Arbeitstag hatte er sich eine Maske zurechtgelegt. Sein persönlicher Kummer hatte mit seinen Mitarbeitern nichts zu tun. Die hatten auch ihre Sorgen – und durften sie nicht ins Geschäft tragen. Die Dreistern-Werbung war ein netter Laden, und das sollte auch so bleiben.
    Er schaltete auf seinem Schreibtisch die Sprechanlage ein. »Hannemann – wir wollten doch heute über den Westphal-Komplex reden.«
    »Ich komme gleich rüber, Chef.«
    Jürgen beschäftigte fünfzehn Leute. Mit dem kleinen Hannemann, der eben mit einer dicken blauen Mappe ins Zimmer stürzte, hatte er vor drei Jahren hier in Berlin angefangen. Hannemann war ein gerissener Werbefuchs und an seinem Erfolg erheblich beteiligt.
    »Was stellen die Westphal-Werke alles her?« fragte Jürgen.
    »Kostüme, Mäntel, Kleider. Zwei große Fabriken – beide arbeiten in München.«
    »Wie sind die auf uns gekommen?«
    Hannemann schmunzelte. »Westphal möchte sehr modern sein in der Werbung – und da ist er auf unser Mädchen gestoßen, das für Büstenhalter Reklame macht und gar
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