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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich
Autoren: Sandra Scoppettone
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hatte deine Stimme viel weniger
Leben. Ich habe immer darauf gewartet, daß du’s mir sagst, aber es kam nie, und
da habe ich mir gedacht, daß du es nie tun würdest, und es ist öde, wenn diese
blöde Sache zwischen uns steht wie so ein scheußliches Monster, das man nicht
fassen kann, verstehst du, was ich meine?«
    Das tat ich sehr wohl. »Stört es dich
denn nicht, wenn deine beste Freundin eine... eine...«
    »Lesbe ist?« Dann lachte sie, dunkel
und herzhaft und voller Leben.
    »Das ist noch schlimmer«, sagte ich.
    »Finde dich damit ab, es gibt kein
schönes Wort.«
    Sie hatte recht, es gab keins, und es
gibt immer noch keins. Danach erzählte ich ihr alles über meine Schwärmereien,
meine Lieben, und sie gab mir Ratschläge und wollte mich dazu bringen, es
auszuleben, aber ich weigerte mich. Ich tat weiter so, als sei ich
heterosexuell.
    Und dann, als ich siebzehn war, im
letzten Monat meines Abschlußjahrs, geschah etwas Unfaßbares, das mich für
immer verändern sollte. Als wir am Washington Rock parkten, wurde Warren
ermordet, und ich wurde vergewaltigt, zusammengeschlagen und, anscheinend für
tot gehalten, am Tatort liegengelassen. Es gelang mir, zur Straße zu kriechen,
wo man mich fand.
    Megan kam jeden Tag ins Krankenhaus.
Sie brachte mir immer etwas mit: ein Päckchen Kaugummi, einen Füller mit Block,
ein Taschenbuch. Und sie merkte auch als erste, daß ich mir die Schuld an
Warrens Tod gab.
    »Laur«, sagte sie, »wenn er nicht mit
dir dort gewesen wäre, dann wäre er mit einer anderen dort gewesen.«
    »Aber er war mit mir da, und es war
nicht mal echt.«
    »Wenn es echt gewesen wäre, wäre er
jetzt weniger tot?«
    »Dann hätte es sich vielleicht
gelohnt«, sagte ich dummerweise.
    »Ich glaube, ich werde lieber
vergessen, was du gerade gesagt hast. Es ist nicht deine Schuld, krieg das
endlich mal in deinen Dickschädel. Du kannst von Glück sagen, daß du noch am
Leben bist.«
    Sie hatte recht.
    Der andere, der mich im Krankenhaus
besuchen kam, war Jeff Crawford. Ich dachte, er sei ein Cop, es stellte sich
jedoch heraus, daß er beim FBI war, und er warb mich an. Jetzt hatte ich noch
ein Geheimnis, denn ich sollte Meg nichts davon erzählen. Doch das wollte ich
nicht noch einmal durchmachen, wenn ich sie auch nicht mehr so häufig traf,
weil wir auf verschiedenen Colleges waren. Ich erzählte ihr auf unserer ersten
Fahrt nach Hause zu Thanksgiving davon.
    »Du nimmst mich auf den Arm«, sagte Meg
und kräuselte ihre vollen Lippen, um Mißbilligung zu mimen.
    »Tu ich nicht. Aber du bist die
einzige, der ich es erzähle. Und es muß ein Geheimnis bleiben, Meg, wirklich.«
    »Hey, habe ich jemals über dein
Lesbischsein getratscht?«
    »Mensch, ich wünschte, du würdest nicht
so reden.«
    »Laur, du mußt aufhören, so verkniffen
zu sein. Hast du schon jemanden an der Uni kennengelernt?«
    »Nein.«
    »Dann schaust du dich nicht richtig um.
An meiner Uni laufen tonnenweise Lesben rum.«
    An der Uni lernte ich nie jemanden
kennen. Es stimmte, daß es sie dort gab, aber ich hatte zu große Angst, von der
Uni und aus dem FBI zu fliegen.
    Als ich meinen College-Abschluß gemacht
hatte und Vollzeitagentin wurde, lernte ich Lois, meine erste Liebste, kennen.
Megan war die einzige, der ich es erzählte.
    »Dem Himmel sei Dank«, sagte sie. »Ich
dachte schon, du würdest dein Leben als lesbische Jungfrau beschließen. Wie war’s?«
    Lois und ich hielten unsere Affäre
sorgfältig geheim, und obgleich ich die Heimlichtuerei haßte, war ich sehr
verliebt und fühlte mich endlich erfüllt. Zwei jahre später, während eines
Falls, erschoß ich Lois versehentlich.
    Damals lebten Meg und ich schon beide
in New York City. Sie arbeitete als Lehrerin, was sie haßte, und nach dem
Unfall und meinem Abschied vom FBI hockte ich in meinem Apartment, sah fern und
aß kaum noch. Nicht einmal Schokolade konnte mich locken. Ich war ein Zombie,
unzugänglich, verbittert, von entsetzlichen Schuldgefühlen geplagt. Ich dachte,
ich würde wahnsinnig werden. Es war Meg, die mich wieder zur Vernunft brachte.
    Zunächst saß sie nur mit mir vor der
Glotze, hielt mir die Hand und brachte mir Essen mit, das ich nicht wollte. Sie
ließ mich nach Herzenslust heulen und toben, doch eines Tages las sie mir dann
die Leviten.
    »Na schön, du Arschloch, jetzt reicht’s
allmählich. Ich hab dein Selbstmitleid und deine Schuldgefühle gründlich satt,
und ich weigere mich, mir noch einen einzigen Schnulzenfilm reinzuziehen.
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