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Immer dieser Michel

Immer dieser Michel

Titel: Immer dieser Michel
Autoren: Astrid Lindgren
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im Lokus hängt? Schreit er um Hilfe? Nein, das tut er nicht! Nein, denn er kennt die Lönneberger. Er weiß genau, wenn das hier in der Gemeinde ruchbar wird, dann gibt es ein lautes Gelächter, und das wird nicht aufhören, solange noch einer lebendig ist in Lönneberga und ganz Smaland.
    Michel, der zufrieden und froh zum Festessen zurückgekehrt war, tat inzwischen sein Bestes, um Klein-Ida zu unterhalten. Er nahm sie mit hinaus in den Flur, und dort probierten sie Galoschen an.
    Die standen da in langen Reihen, große und kleine, und Ida kicherte begeistert, als Michel in den Galoschen des Pastors umherstelzte und "demzufolge" und "darüber hinaus" sagte, genau wie der Pastor. Aber schließlich lagen im ganzen Flur verstreut Galoschen herum, und Michel, ordentlich wie er war, stapelte sie zu einem Haufen auf. Es wurde ein richtiger Berg, mitten im Flur.
    Plötzlich fiel ihm ein, daß er ja Knirpsschweinchen für den Abend einen Festschmaus versprochen hatte. Er ging in die Küche, kratzte die Reste in eine Schüssel zusammen, und mit der 172
    Schüssel in der einen Hand und der Stall aterne in der anderen zog er hinaus in Regen und Dunkelheit, um sein kleines Schwein aufzumuntern.
    Und da - oh, ich zittere, wenn ich daran denke! - da erblickte er seinen Vater! Und sein Vater erblickte ihn! Oh, oh, oh, was doch alles geschehen kann!
    "Hole - sofort - Alfred!" tobte sein Vater. "Und sag ihm, er soll ein Kilo Dynamit mitbringen, denn jetzt wird die Trissebude in die Luft gesprengt!"
    Michel lief, und Alfred kam. Ohne Dynamit - das hatte Michels Vater wohl nicht im Ernst gemeint -, aber mit einer Säge. Ja, Michels Vater mußte herausgesägt werden, anders ging es nicht.
    Und während Alfred sägte, stand Michel auf einer Leiter und hielt vorsorglich einen Schirm über den Kopf seines armen Vaters, um den Regen abzuhalten. Du verstehst sicher, daß Michel da auf der Leiter keine besonders heitere Stunde hatte. Sein Vater tobte die ganze Zeit unter dem Schirm und sprach davon, was er mit Michel machen wollte, sobald er losgekommen sei. Und er war auch nicht im geringsten dankbar für Michels Fürsorglichkeit mit dem Schirm.
    "Was soll das", meinte er. "Wo ich doch schon bis auf die Haut naß bin und mich auf jeden Fall erkälte und ganz sicher eine Lungenentzündung bekomme!"
    Aber Michel sagte: "Nein, du wirst dich nicht erkälten. Die Hauptsache ist, daß man trockene Füße behält!"
    Das fand Alfred auch.
    "Es stimmt! Hauptsache ist, man behält trockene Füße." Natürlich hatte Michels Vater trockene Füße, das konnte er nicht abstreiten, aber er war weit entfernt davon, deshalb zufrieden zu sein, und Michel zitterte vor dem Augenblick, in dem sein Vater freikommen würde.
    Alfred sägte, daß die Späne flogen, und Michel war sprungbereit.
    In dem Augenblick, als Alfred mit dem Sägen fertig war und der Vater mit einem Plumps heruntersauste, genau in dem Augenblick warf Michel den Regenschirm weg und setzte sich in 173
    vollem Galopp zum Tischlerschuppen ab. In letzter Sekunde huschte er hinein und schob den Riegel vor, ehe sein Vater ihn erreichen konnte. Aber, mag sein, daß sein Vater es leid war, vor verschlossenen Türen zu stehen und zu klopfen, jedenfalls knurrte er Michel nur ein paar Schimpfworte zu und verschwand. Vor allem mußte er sich ja jetzt beim Festessen sehen lassen, und da galt es zuerst, sich in die Kammer zu schleichen, um trockene Sachen anzuziehen.
    "Wo bist du so lange gewesen?" fragte die Mutter richtig ärgerlich.
    "Darüber werden wir später reden", sagte der Vater dumpf.
    Und darin war die Glaubensbefragung auf Katthult beendet. Der Pastor begann den üblichen Psalm, und die Lönneberger fielen mit voller Stimme ein:
    "So geht ein Tag dahin, und nimmer kehrt er wieder", sangen sie.
    Danach brachen sie alle auf, um durch die Novemberdunkelheit nach Hause zu gehen. Aber als sie in den Flur kamen, um ihre Mäntel anzuziehen, war das erste, was sie im schwachen Schein der Petroleumlampe sahen, ein Berg von Galoschen.
    "Welch ein Unfug! Das kann nur Michel gewesen sein", sagten die Lönneberger. Und dann saßen sie alle, einschließlich Pastor und Pastorin, stundenlang da und suchten ihre Galoschen heraus.
    Schließlich sagten sie ziemlich sauer "Danke" und "Auf Wiedersehen" und verschwanden im Regen.
    Michel konnten sie nicht "Auf Wiedersehen" sagen, denn er saß ja im Tischlerschuppen und schnitzte gerade sein einhundertvier-undachtzigstes Holzmännchen.

174
    Sonntag, der 18.
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