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Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Titel: Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
Autoren: Brigitte Kanitz
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als junge Frau mal ganz allein unseren ausgebüxten Bullen Hector eingefangen hat. In einer Zeit, zu der es noch keine künstliche Besamung gab und so ein muskelbepacktes Riesenvieh zum Hof gehörte. Ob das wirklich stimmt, weiß ich nicht. Zuzutrauen war’s ihr allemal.
    Opa Hermann war aber kein Bulle gewesen. Nur ein alter Mann, der alles wusste, was in den vergangenen sieben, acht Jahrzehnten in der Familie Lüttjens so passiert war. Insofern war er wahrscheinlich gefährlicher gewesen als der wilde Hector. Meiner Meinung nach war in dieser Sippe schon so viel unter die dicken Teppiche gekehrt worden, dass dort für keine Staubfluse mehr Platz war.
    Wirklich wahr. Die Lüttjens konnten supergut verdrängen, verschweigen … verlieren. Mist! Schnell an was anderes denken.
    Mama fixierte mich aus schwarz umrandeten Augen. »Und wie war das so? Jetzt erzähl doch mal, und lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Ich will wenigstens wissen, ob mein verehrter Herr Schwiegervater würdig verbrannt worden ist.«
    Papa stieß ein Schnauben aus.
    Ich hob hilflos die Schultern. »Äh … ja. Es war eine schöne Zeremonie.« In Wahrheit wusste ich nicht mehr viel davon. Der Bestattungsunternehmer trug einen dunklen Anzug und wirkte ein bisschen jung, ein bisschen seriös, ein bisschen merkwürdig. So wie Nate Fisher in Six Feet Under – Gestorben wird immer , eine meiner absoluten Lieblingsserien, natürlich längst wieder abgesetzt und dann auf irgendeinem Spartenkanal vergraben, was sonst?
    Sissi war gekommen und hatte einen hübschen kleinen Kranz mitgebracht, und ein paar alte Frauen, die sich vielleicht gerade an den Gräbern ihrer längst verblichenen Gatten gelangweilt hatten, schauten auch kurz vorbei. Dann war da noch … was? Ich rieb mir über die Stirn und stöhnte leise auf, als ich gegen die Beule stieß. Irgendwie war ich in den Besitz von Opas Urne gelangt. Und dann …
    Was war noch gewesen? Keine Ahnung.
    »Hast du eine Rede gehalten?«, wollte Mama wissen.
    »Warum sollte sie?«, fragte Papa dazwischen. Ich war ein bisschen beruhigt. Ganz so schlimm war das mit seinem »Rheuma« wohl doch noch nicht.
    »Opa ist in München nur eingeäschert worden. Die Beerdigung feiern wir zu Hause. Pastor Gräve wird schon die richtigen Worte finden. Sie kannten sich ja seit sechzig Jahren. Der ganze Ort wird kommen, und den Leichenschmaus gibt’s im Heidekrug . Mit Heidschnuckenbraten, Rosenkohl und jungen Salzkartoffeln. Zum Nachtisch Rote Grütze, und danach unbedingt noch Butterkuchen.«
    Ich sah genau, wie er sich schnell und genießerisch die Lippen leckte.
    »Ist ja ekelhaft«, schimpfte Mama. »Du kannst nur noch ans Futtern denken. Sogar, wenn dein geliebter Vater gerade gestorben ist.« Eben noch hatte sie sich über meine Heulerei beschwert, jetzt forderte sie von ihrem Mann die angemessene Trauer ein. Mir schien, ich war hier nicht die Einzige, die durcheinander war.
    Papa tat, als würde er sie nicht hören, und tuckerte weiter hinter dem Trecker her.
    »Jetzt überhol doch endlich!«
    »So schnell schießen die Preußen nicht.«
    Dann setzte er aber doch den Blinker, und während er an dem braungrünen Ungetüm vorbeizog, überlegte ich, ob es Sinn hatte, mich in James-Bond-Manier aus dem Fenster zu hangeln und auf den Trecker zu springen. Ich konnte damit querfeldein flüchten und den Bauern, der jetzt zu uns herüberlinste, entführen oder irgendwo im Wald gefesselt zurücklassen.
    So bald würde mich keiner kriegen. Keine Familie Lüttjens, die noch nichts von meinem kleinen Versehen ahnte, kein Pastor Gräve, der an einer Rede für eine leere Urne schrieb, und keine Dorfbewohner, die in ein paar Tagen nach dem Butterkuchen noch ein paar Köm auf den verschollenen Verstorbenen kippen würden. Der Gedanke an Köm, wie in dieser Gegend hochprozentiger Weizenkorn der Einfachheit halber hieß, gefiel mir. Im Vollrausch hätte ich meine katastrophale Lage eher ertragen. Unglücklicherweise mochte ich das Zeug nicht mehr, seit ich mich mit vierzehn mal an Opas Vorrat vergangen hatte und drei Tage lang sterbenskrank gewesen war. Ein paar Flaschen Berlucchi wären eine Alternative gewesen, aber die hatte ich gerade nicht bei mir.
    Plötzlich gab Papa kräftig Gas. In weiter Ferne kam ihm ein Fahrzeug entgegen. Mist. Den richtigen Augenblick für meine Flucht hatte ich nun verpasst.
    »Und wie war die Reise?«, fragte Mama arglos.
    Gleich würde ich wieder losheulen.
    Mein Blackberry rettete mich.
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