Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Titel: Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
Autoren: Brigitte Kanitz
Vom Netzwerk:
Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit, nur gestört von diesem nachhaltigen Missbehagen, was meinen Retter mit den kuscheligen Augen betraf.
    Gerade wollte ich Hertha noch ein bisschen mehr löchern, als die Durchsage kam: »Meine Damen und Herren, wir erreichen nun Lüneburg.«
    Ich sprang auf und schnappte mir meinen Koffer aus der Gepäckablage. Der ICE hielt genau zwei Minuten in Lüneburg. Wenn ich nicht bis Hamburg durchfahren wollte, musste ich raus. Sofort.
    Hertha Kowalski bekam noch ein hektisches »Auf Wiedersehen!« zu hören, dann zerrte ich meinen Koffer durch den Gang, betätigte den automatischen Türöffner und stand im nächsten Moment auf dem Bahnsteig. Täuschte ich mich, oder stieg ganz am anderen Ende auch mein Retter aus? Und verschwand der nicht so schnell und unauffällig im Bahnhofsgebäude, dass es schon wieder auffällig war? Ich kam nicht dazu, mir darüber Gedanken zu machen, denn hinter mir klopfte jemand hektisch gegen das Zugfenster.
    Hertha.
    Sie hielt etwas hoch.
    Die Tupperdose!
    Opas Asche!
    Das Poltern der Zedern in meinem Traum!
    Ich musste jetzt ohnmächtig werden. Auf der Stelle.
    In alten Filmen springt der Held in so einer Situation auf sein Pferd, das rein zufällig fertig gesattelt bereitsteht, jagt dem Zug hinterher, schwingt sich auf die hintere Plattform und holt sich seine entführte Freundin/den Goldschatz/die Kiste mit den vierzig Winchesterflinten/den flüchtigen Schurken/die zwei Fässer Rum/die Schatzkarte einfach wieder.
    War für mich keine Lösung. Zwar kann ich reiten, wie sich das in einem Pferdeland wie Niedersachsen gehört, aber mit dem Aufspringen hatte ich schon mit zwölf meine Schwierigkeiten gehabt. Ich war regelmäßig zurück auf den Boden geplumpst.
    Karl und seine Kumpels hatten mich deswegen jahrelang aufgezogen, was ich ihm persönlich bis zu unserem ersten Kuss übelnahm. Auf die anderen Jungs war ich immer noch sauer. Davon abgesehen stand sowieso gerade kein Pferd bereit, der ICE düste bereits durch Winsen/Luhe, und eine Plattform hatte der ohnehin nicht.
    Blieb nur noch die Ohnmacht.
    Schon flatterten meine Augenlider, als ich ein sonores »Da bist du ja, mein Spatz« hörte.
    Papa. Baumgroß, wettergegerbte, rötliche Gesichtshaut, aschblondes Haar (seit seiner Geschmacksverirrung in den Achtzigern streichholzkurz), blitzend hellblaue Augen. Jahrein, jahraus trug er am liebsten Gummistiefel, grobe Cordhosen, karierte Hemden, eine Lederweste, die im Winter mit Schaffell gefüttert war, und die obligatorische Schirmmütze.
    Ich flog in seine Arme und nahm den Geruch nach Heimat und Kuhstall auf. Komisch, dass Papa immer noch wie ein Bauer roch. Die letzten Kühe hatten die Lüttjens Anfang der Neunzigerjahre verkauft, als Opa und Papa gemeinsam beschlossen hatten, sich ganz dem Fremdenverkehr zu widmen. Die Ställe wurden zu Ferienwohnungen umgebaut, die Kühe verkauft, und nur ein paar Pferde durften bleiben.
    Seitdem mussten sich Vater und Sohn Lüttjens nicht mehr über sinkende Milchpreise oder fehlende Subventionen von »den Holzköppen aus Brüssel« aufregen. Nur noch über Großstadtkinder, die wissen wollten, warum die Kühe von Nachbar Küpper nicht lila waren und wieso die beiden Ponys Ernie und Bert nach zwei Stunden im gestreckten Galopp so komisch schnaubten und keine Lust mehr hatten, weiterzulaufen.
    »Papa«, flüsterte ich in seinen Hemdkragen.
    »Is’ ja gut, Lütte, is’ ja gut.«
    Gar nichts ist gut, wollte ich erwidern, konnte ich aber nicht, weil ich wieder mal heulte. Ehrlich, so viel wie in den letzten drei Tagen hatte ich in den dreizehn Jahren zuvor nicht geheult. Die taffe Nele war jetzt grad mal ein kleines Mädchen, das sich darauf verlassen konnte, bei seinem Vater Trost und Schutz zu suchen.
    »Hey, Süße, ich bin auch noch da.«
    Schon wurde ich von Papa weggezogen und landete in Mamas Armen. Statt nach Kuhstall roch sie nach reichlich Patchouli. Sie strahlte auch nicht unbedingt Papas Bodenständigkeit aus. Mama zog es, zumindest innerlich, weg aus der Lüneburger Heide und hin nach Indien, was für sie gleichbedeutend war mit zurück in die Hippiezeit der Sechziger. Auf den Fotos, die sie mir regelmäßig per E-Mail schickte, konnte ich ihre Veränderung mitverfolgen. Vor zwei Jahren hatte Mama ihre hellen Haare noch im schlichten Zopf getragen. Daraus war im letzten Winter ein wilder Lockenkopf geworden. Inzwischen hatten wir Hochsommer, und ich entdeckte trotz tränenblinder Augen mehrere
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher