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Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Titel: Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
Autoren: Brigitte Kanitz
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wohlriechenden Männerbrust. Die Frauenbrust direkt daneben sah weicher aus, wogte dafür vor Empörung. »Frechheit«, sagte die dazugehörige Stimme, die wiederum zu einer Mittvierzigerin im Achtzigerjahre-Retrolook gehörte. Zwei Meter breite Schulterpolster und pinkes Pailletten-T-Shirt. Boah! Sah an ihr bloß nicht retro, sondern echt alt aus und irgendwie nach mit den Körpermaßen in den letzten fünfundzwanzig Jahren nicht ganz mitgewachsen. Sue Ellen aus Dallas in XXL . Als Kind hatte ich die Serie mit Großtante Marie verfolgt. Der Rest der Familie Lüttjens hatte über uns nur den Kopf geschüttelt, aber wir liebten den Ewing-Clan. Marie setzte sogar bei meinen Eltern durch, dass ich dienstagabends bis halb elf aufbleiben durfte. Für meine sonst wenig durchsetzungsfreudige Großtante eine wahre Meisterleistung!
    Sue Ellen holte tief Luft. »Stundenlang das Klo besetzen. Das haben wir gerne! Wahrscheinlich Schwarzfahrerin.«
    Jil Sander und Giorgio Armani machten auf sie keinen besonderen Eindruck. Oder sie hielt sie für Fakes made in China .
    Ich blieb noch einen Moment lang an der Männerbrust kleben. Hatte ein bisschen Angst, ihr Begleiter könnte neonfarbene, karottenförmige Jeans und auf dem Kopf eine Vokuhila-Frisur haben. Vorne kurz, hinten lang, in den Achtzigern auch bekannt als Nackentapete oder Manta-Matte. Ein Lüttjens’sches Familiengerücht besagte, dass mein Vater vor dreißig Jahren mal so eine Frisur getragen hatte. Bis meine Mutter mit der Matte wortwörtlich kurzen Prozess gemacht haben soll.
    Das warme Timbre wollte nicht so recht zu meiner Horrorvorstellung passen. »Nur keine Aufregung. Sie sehen doch, dass es der jungen Dame nicht gut geht. Und jetzt ist das Bad ja frei.«
    Wenn er die Frau siezt, gehört er gar nicht zu ihr, folgerte ich messerscharf und linste nach oben.
    Keine Schreckfrisur, sondern glattes, nach hinten gekämmtes braunes Haar. Auch kein noch so winziger Schnurrbart. Weiterer Punkt für ihn. Rascher Kontrollblick in die Tiefe. Keine Neon-Karotte, gut sitzende Markenjeans, schätzungsweise von Diesel.
    Ich machte mich frei, trat einen Schritt zurück, seufzte erleichtert und dachte: Den kenne ich doch.

2.
    Zedernduft im ICE
    »Geht’s wieder?«
    Der Zug legte sich mit geschätzten fünfhunderttausend Stundenkilometern in eine Kurve und drängte mich wieder in Richtung wohlriechende Männerbrust. Ich wollte nach einem Schulterpolster von Sue Ellen greifen, aber die hatte sich schon in die Toilette gequetscht.
    Also wieder auf Tuchfühlung. Verflixt! Da wollte ich bleiben. Für immer.
    Hätte ich bloß mein Gehirn ausschalten können. Nicht daran denken müssen, woher ich den Mann kannte und wieso es mir unangenehm war, dass es mir nicht einfallen wollte. Zwecklos. Ich scannte mich bereits durch die letzten Tage, dann Wochen und Monate. Nichts.
    Der kommt mir bekannt vor, dachte ich nach der Kurve noch einmal, wieder mit fünfzig Zentimetern Abstand.
    Schon erwähnt? Zu dem Timbre, dem Duft (Zedernholz und kanadischer Himmel, entschied ich) und der schnittigen Figur gehörten ein paar dunkelbraune, so richtig kuschelig blickende Augen.
    Seufz!
    »Kuschelig?«, kreischte Sissi, als ich sie vier Minuten später anrief. Da hatte mein duftender Retter schon zweieinhalb Minuten lang den Kopf geschüttelt und war gegangen.
    Hm, geflüchtet, trifft es wohl eher – so schnell, wie der weg war. Ob der wohl aus dem Zug gesprungen wäre, wenn ich die Verfolgung aufgenommen hätte? Ach nee, ging ja heutzutage auch nicht mehr. Alles hermetisch verriegelt. Egal. Blackberry raus, Sissi anrufen, brühwarm erzählen, was gerade passiert war.
    »Kuschelig?«, kreischte sie gleich noch einmal. »Hat der Haare auf den Augen?«
    »Nein. Mit dem Mann lässt es sich wunderbar sonntagmorgens im Bett kuscheln.« Alles Weitere verstand sich von selbst.
    »Und das weißt du, nachdem er dich einmal angeschaut hat?«
    »Genau.«
    »Hast du dir irgendwo den Kopf gestoßen?«
    »Ja«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Am Seifenspender, als Sue Ellen so laut geklopft hat.«
    »Nele«, sagte Sissi auf einmal ganz ruhig. »Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut.«
    Es dauerte, bis mir aufging, dass sie mich nun wirklich für durchgedreht hielt. Also holte ich tief Luft und erzählte ihr den Vorfall ein zweites Mal, diesmal mit allen Details, inklusive harter Männerbrust, Zedernduft und kanadischem Himmel.
    »Und jetzt sei so lieb, und google für mich mal ›partielle Amnesie‹. Ich muss
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