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Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)

Titel: Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
Autoren: Brigitte Kanitz
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Dorfjugend einer jeden Generation als verschnarchtes Kaff bezeichnet wurde, Hermann also hatte sich in den Zug nach Süden gesetzt, ohne irgendjemandem was davon zu sagen. Zum ersten Mal seit ungefähr zwanzig Jahren verließ er für mehr als ein paar Stunden das große niederdeutsche Hallenhaus seiner Familie. Am Hauptbahnhof München nahm er sich ein Taxi, wohl wissend, dass Oma Grete ihn wegen eines solchen Luxus für den Rest seines Lebens ausschimpfen würde, nicht ahnend, dass sie dazu keine Gelegenheit mehr haben würde, weil der Rest seines Lebens nicht mehr besonders lang sein würde.
    Vor meinem Wohnhaus in Schwabing angekommen klingelte er bei mir und schrie: »Nele! Mach auf! Hier ist dein Opa! Ich muss dringend mit dir reden!«
    Ich hätte ihn auch ohne Gegensprechanlage gehört.
    »Opa Hermann?«, schrie ich fassungslos zurück.
    »Welcher denn sonst? ’nen anderen hast du nicht. Oder ist der alte Herr deiner übergeschnappten Mutter wiederauferstanden, ohne mir was zu verraten?«
    Über bestimmte Dinge sollte man nicht scherzen, dachte ich noch, bevor ich auf den Summer drückte und knapp sagte: »Fünfter Stock. Kein Fahrstuhl.«
    Obwohl ich insgeheim seiner Meinung war, nahm ich ihm das mit der übergeschnappten Mutter ein bisschen übel. Deshalb ging ich ihm auch nicht entgegen, sondern beseitigte rasch die gröbsten Spuren der letzten Partynacht. Braun gewordenes Sushi und zwölf bis auf den letzten prickelnden Tropfen geleerte Flaschen Berlucchi (für mich der beste Prosecco unter Italiens Sonne), wanderten in die Küche.
    Ich hatte ein großes Ereignis gefeiert, eines, das mein Leben verändern konnte. Aber im Augenblick drehten sich meine Gedanken nur um Opa Hermann, der mittlerweile im zweiten oder im dritten Stock angekommen sein musste, selbst wenn man sein Alter berücksichtigte. Ich konnte mir also noch zirka zehn Minuten lang überlegen, was er bloß von mir wollte. Ausgerechnet von mir. Ich war doch die Abtrünnige, die größte Enttäuschung im Leben seines Sohnes, also meines Vaters, diejenige, die das Storchenpaar aus seinem Nest auf unserem Dachfirst vertrieben hatte. Klingt bescheuert, ich weiß; wurde damals aber behauptet, nachdem ich die Hotelfachschule gewählt hatte, die so weit wie möglich von Nordergellersen entfernt lag. Eben in München.
    Aus sicherer Quelle wusste ich, dass das Storchennest seitdem verwaist geblieben war, aber mit mir hatte das nichts zu tun, ich schwöre! Und die Sache mit der größten Enttäuschung … Na ja, seit mein Bruder Jan ein bisschen älter geworden war, hatte sich das auch relativiert.
    Vielleicht wollte Opa mit mir ja über Karl reden. »Du kannst zurückkommen«, würde er sagen. »Der Bengel hat Vernunft angenommen.« Mein Herz flatterte plötzlich aufgeregt in meiner Brust herum. Es konnte aber auch der Berlucchi sein, der noch in meinem Magen blubberte. War sowieso alles Blödsinn. Erstens war ich nicht wegen Karl Küpper aus Nordergellersen abgehauen, jedenfalls nicht nur seinetwegen, und zweitens hat Liebe nichts mit Vernunft zu tun. Gilt auch für eine abhandengekommene Liebe.
    Bevor mein alter Kummer über mich herfallen konnte, ging die Türklingel. Endlich.
    »Das ist aber eine Überr…«, setzte ich an und blickte in ein fremdes Gesicht. Jung, weiblich, ganz hübsch und hochrot.
    »Ich bin die Evi und wohne unter dir.«
    Die hatte ich ja noch nie gesehen. Aber ich kannte sowieso niemanden im Haus. In Nordergellersen war das anders gewesen. Da kannte im ganzen Ort jeder jeden, seit Ewigkeiten. Dagegen hatte Anonymität auch ihre Vorteile. Zum Beispiel, wenn man morgens einen Typen rauswarf, den man nachts vorübergehend interessant gefunden hatte, nur weil einen irgendwas an ihm an Karl erinnert hatte. Die Haarlocke in der Stirn, von der Farbe goldenen Weizens, die linke Augenbraue, die etwas höher als die rechte war, das Grübchen im Kinn oder der Leberfleck am Hals – ich war da nicht so wählerisch, fand es aber gut, dass meine Nachbarn die Kerle nicht zwangsläufig mir zuordneten. Seinen guten Ruf konnte man sich auch in einer partygeilen Stadt wie München ruinieren.
    Kam auch echt nicht so oft vor, wie sich das jetzt vielleicht anhört. Höchstens zweimal im Jahr, na ja, maximal dreimal. Wenn mich mein Heide-Heimweh überfiel. Was völlig unlogisch war, denn an mindestens dreihundertzweiundsechzig Tagen war ich heilfroh, der Lüttjens-Sippe entkommen zu sein. Meine beste Freundin Sissi nannte das eher meinen Karl-Koller
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